Abschiede

Letztes Jahr um die Zeit habe ich mich gewundert, dass so wenig Beisetzungen waren. Mir kam das so komisch vor, dass ich sogar schon Vertretungen für Kolleg:innen aus dem Kirchenkreis übernommen habe. So viel „freie“ Zeit ist ja eigentlich nie. In diesem Jahr gibt es hingegen keinen Grund zu Wunderei, ich könnte gefühlt gleich auf dem Friedhof bleiben.

Es ist eigentümlich, so unterschiedliche Abschiede zu begleiten. Wie verschieden Familien mit Trauer umgehen. Überhaupt wie das Leben so spielen kann und welche Geschichten es schreibt.

Da war die Frau, die als Mädchen den gleichen Nachnamen wie meine Großeltern getragen hat und die sogar zeitweise in meiner Heimatstadt gearbeitet hat. Auf dem Foto erinnerte sie mich (natürlich…) an meine Großmutter. Auf dem Rückweg vom Grab hatte ich auch feuchte Augen.

Da war ein Mann, dessen Mutter und Schwester auf dem Friedhof seine hinterbliebene Ehefrau nicht (er-)kannten (möglicherweise, weil sie sie unter den anderen schwarzen Trauernden nicht ausmachen konnten). Das Schweigen war groß und bedrückend in dieser Familie.

Da war die Mutter, die immer alles in perfekter Ordnung hatte, aber niemanden spontan in die Wohnung lassen wollte. Ein Kamm durfte nicht fehlen, auch bei der Tochter nicht.

Der Schuldirektor, der kurz vor seinem Ruhestand plötzlich verstarb und so den halben Ort hier in Aufruhr brachte. So viel Arbeit und Aufregung wegen einer einzigen Trauerfeier hatte ich noch nie.

Der alte Landwirt, der nach einem schweren Jahr lange nicht sterben konnte und es nun endlich geschafft hat. Die rotgeweinten Augen seiner Frau. Die drei (längst erwachsenen) Kinder, die plötzlich so jung wirkten.

In den nächsten vier Wochen wird mich eine Studentin im Praktikum begleiten. Nach ihrer Heimatgemeinde ist diese Gemeinde die zweite, die sie näher kennenlernt. Ich frage mich wie das für sie ist, diese Gemeinde neu zu entdecken. Mit ihren Gemeindegliedern, Themen, Mitarbeitenden und mit der Pfarrerin, die im Sommer sechs Jahre auf der Pfarrstelle sein wird. Es wird langsam absehbar, wie mein Dienst sich auf die Gemeinde auswirkt und auch wie die Gemeinde sich auf mich auswirkt. Im Pfarrdienst lernt man mit Haut und Haaren und es hört nie auf.

Ich gewöhne mich noch daran, nicht mehr „jung“ zu sein, auch wenn manche es mir anders spiegeln. Ich weiß es nämlich besser. Denn: Die Gen Z finde ich (bisher) richtig dolle komisch. Diese Beschwerdehaltung. Diese Erwartungshaltung. Diese Arbeitsmoral, orrrrrrrrr. Könnte ich mich aufregen und mache es auch gemeinsam mit anderen Irritierten/Verzweifelten/Angenervten/Abgehängten(?), wo es sich ergibt.

Beginnt jetzt bei mir das, was ich früher bei Älteren so naserümpfend beobachtet habe? Das Bashen der Jugend? Und ist die dreijährige (coole und anspruchsvolle) Weiterbildung, die ich seit 2023 mache wirklich so schlau, wenn sie mich dann in die Ausbildung von Vikar:innen bringt? Die sind doch alle besserwisserisch und garstig und posten dann bei Insta und Co., wie unfähig sie alle(s) finden und dass sie die einzige Chance sind, um Kirche zu retten und alles vor ihnen war großer Murks. Natürlich war ich selbst IMMER frei von solcher Hybris (hust- hust). Es ist kompliziert…

Ich bin gespannt auf diese Wochen mit der Studentin. Auf ihre Welt. Ihre Themen und Fragen. Vielleicht schreibe ich nach Ostern dann ganz anders. Wir werden sehen und ihr werdet dann (hoffentlich auch) lesen.

Kommt alle gut durch diesen frühen Frühling!


Eine Antwort zu “Abschiede”

  1. Als selber sehr Aktive (w.,39J, also in einem ähnlichen Alter wie du) in meiner Gemeinde sind deine Gedanken für mich sehr wertvoll und inspirierend! Danke.

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