Immer noch Neuanfang

Vor einer Woche feierten wir in der Gemeinde einen Familiengottesdienst zum Weltgebetstag. Mit gedeckter Tafel in der Kirche, Aktionen vom KiGo-Team, einem ausgeliehenem Beamer (ich hab es immer noch nicht geschafft, den kaputten reparieren zu lassen, ups) und sogar auch ein paar Kindern. Ich war fein raus und habe „nur“ gepredigt, den Rest hat das Team übernommen – das ist vielleicht ein Luxus! Trotzdem wollte an dem Sonntag nicht so richtig Stimmung aufkommen, was auch daran gelegen haben wird, dass die Wochen davor ganz schön arbeitsintensiv und die Tage vor Sonntag nervenaufreibend, aber auch erkenntnisreich waren.

So eine Gemeinde ist ja ein vielfältiger Haufen, der sich zu Teilen gerne mal aufführt wie ein Irrenhaus, unabhängig von Alter, Familienstand und Bildung. Ich schrieb hier schon davon, dass es Rumorereien unter den „älteren Frauen“ gab, weil ich manche Menschen zur Begrüßung umarme. Neuerdings nimmt die Fraktion der nicht klar definierten besorgten Damen angeblich Anstoß an meinen Segensworten. Den Segen spreche ich inklusiv (Gott segne…Gott lasse ihr Angesicht..Gott lasse sein Angesicht…). Das passt manchen nicht: Ist ja auch anders als in der Bibel, wie die Neue das macht. Und anders, als ihr Vorgänger das gemacht hat. Und anders, als die anderen Pfarrerinnen und Pfarrer die wir kennen. Also gilt und wirkt der am Ende nicht. Um Himmels Willen!!!!!! Man könnte natürlich mit der Pfarrerin darüber reden, aber am Ende würde sie verständnisvoll zuhören und unsere Sorgen ernst nehmen und vielleicht sogar noch angemessen darauf reagieren und vielleicht würden wir dabei auch noch unseren Horizont erweitern, omg – das kann doch nun wirklich niemand wollen und von uns verlangen.

Und obwohl es mir hier sonst auf vielen Ebenen richtig gut geht und es nur eine diffuse Handvoll Menschen von über 2000 Gemeindegliedern ist, die sich offensichtlich gerade in der Regression befindet, war ich letzten Sonntag in recht verdrießlicher Stimmung und kaute auf meinen Gedanken herum: Es ist hier eben doch immer noch ein Neuanfang für alle Beteiligten. Reibung passiert, Abgrenzung auch und ebenso kommt es zu Befindlichkeiten und manchen Enttäuschungen. Wahrscheinlich ist das alles total im Rahmen, aber das macht es nicht weniger nervig. Erstaunlich, wie sehr eine vergleichsweise kleine Episode einem die Stimmung versauen kann. Und warum gibt es in der Stadt ältere Frauen, die scheinbar so gar nicht auf mich klarkommen? Und wo waren die auf dem Land? Oder hab ich die einfach nicht bemerkt oder gekonnt verdrängt? Die machen mich noch alle ganz wahnsinnig! Meine Verdrießlichkeit begann gerade sich in einen mittleren Menschenhass-Anfall zu steigern, als eine SMS aus meiner alten Gemeinde kam und mich anders aktivierte. „Liebe Frau Hitschmock, meine Mutter liegt im Sterben. Könnten Sie die Beisetzung machen? Es kennt sie sonst ja niemand. Ihre traurige C. B.“

Als ich vom Gottesdienst zuhause ankomme, rufe ich bei ihr an. Ihre Stimme hab ich so oft gehört, ich kenne ihr Lachen, aber nicht ihr Weinen. Kurz darauf fahre ich mit einem blauen Autochen namens Jerry (geliehen von Freunden) in meine alte Gemeinde und hoffe, dass die Mutter von Frau B. noch etwas durchhält. Eine Beisetzung in den kommenden Tagen schaffe ich nicht, aber eine Andacht zur Begleitung heute, das geht. Während ich fahre, werden mir die Straßen langsam vertrauter wird und die Landschaft scheint mich mich liebevoll in ihre weiten Arme zu nehmen. Und ich staune: das gibt es ja auch noch alles. Es fühlt sich an wie Luftholen nach einer langen Atempause.

Bei Frau B. hat sich in der Küche eine kleine Gemeinde für die Andacht zusammen gefunden, Nachbarinnen, Freundinnen – man kennt sich und hilft sich, auch jetzt. Ich kenne alle. Es ist ein herzliches Wiedersehen, ich werde auf den neuesten Stand gebracht (eventuell bald ein Nachfolger!) und erzähle von mir und wieder staune ich: das ist ja alles noch da. Die sind alle noch da. Gott sei Dank. Wir haben öfter hier in ihrem Haus oder im Hof gesessen, bei Kaffee und Kuchen und belegten Broten. Ganz früher hab ich mit Frau B. auch mal genüsslich Zigaretten geteilt, ach hach. Heute steht auf dem Küchentisch ein Teller mit Käse – und Schinkenschnittchen und kleinen sauren Gurken. Ich bin gerührt, dankbar und auch wirklich hungrig.

Die Mutter von Frau B. liegt im Zimmer nebenan, die Tür ist weit offen, wir hören sie atmen, etwas unruhig, aber regelmäßig. Manchmal lacht sie leise. Sie ist eine sanftmütige und liebevolle Sterbende, scheint gelöst, fast fröhlich. Obwohl sie schon sehr schwach (und auch dement) ist, kann sie bei „Lobe den Herren den mächtigen König“ einstimmen, sie betet das Vater Unser mit großen, wachen Augen mit und lässt sich mit duftendem Salböl segnen. Beim Abschied sage ich: Ich habe mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen! Und sie antwortete mit hellem Blick: Ich mich auch!

Frau B. und ich umarmen uns kräftig als ich mich wieder auf den Weg nach Hause mache. Ich fahre erschöpft, aber beschenkt zurück. Wer hätte gedacht, dass aus so viel Verdrießlichkeit und Grummelei noch etwas so Wunderbares wachsen könnte? Und dann bleibt am Ende: so viel Liebe.


2 Antworten zu “Immer noch Neuanfang”

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