Die Adventszeit hat es in sich – in diesem Jahr in noch gedrängterer Form als sonst. Der vierte Advent fällt auf Heiligabend, also weniger Tage für Krippenspielproben und Gottesdienstvorbereitungen. Heute und morgen habe ich Zeit, etwas zu sortieren und Luft zu holen, bevor es nächste Woche rasant weiter geht. Vielleicht findet sich irgendwo ein Stück Besinnlichkeit oder wenigstens der kleine rote Herrnhuter Stern, den ich bezeichnender Weise immer noch nicht am Wohnzimmerfenster aufgehangen habe.
Vor besagtem Fenster fällt der Schnee, aber er bleibt nicht liegen. So richtig kann sich der Winter offenbar noch nicht entscheiden, sich durchzusetzen. Der Winter und ich haben einiges gemeinsam, wobei er kommen will und ich gehen werde, irgendwann im nächsten Jahr. Noch ist nichts definitiv, Gedanken und Gespräche laufen, Vor – und Nachteile werden abgewogen und lassen mich hin und her schwappen zwischen Vorfreude und Abschiedsschmerz, Sehnsucht und Ergriffenheit im Moment.
In der letzten Woche war ich bei einer Weiterbildung, die neben vielen lehrreichen Momenten und Erkenntnissen auch einen kleinen Pulk neuer Menschen in mein Leben brachte. Unter anderem eine etwas ältere Kollegin, die mit mir folgende Weisheit teilte: Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich als Pastorin in einer unendlich langen Tradition von Vorgängerinnen und Vorgängern stehe. Diese Pfarrstelle gibt es seit Jahrhunderten und ich bin nur ein kleiner Teil davon. Ich versuche wie jede und jeder vor mir, mein Bestes zu geben, aber ich bin nur eine von Vielen. Es kommt nicht nur auf mich an. Seitdem bin ich entspannter.
Seit vorgestern bin ich wieder zuhause. Heute habe ich den großen, braunen Briefumschlag aus Pappe geöffnet, der auf meiner Treppe lag. Ich dachte, es sei Weihnachtspost aus der Suptur, stattdessen fand sich ein fein geschriebener Brief mit einem selbst gebastelten Kalender darin. Ein herzlicher Gruß und ein Dankeschön von einer Familie, die ihre Wurzeln hier im Örtchen hat. Eine ehemalige Pfarrerstochter schrieb die Zeilen und gestaltete Seite für Seite den Kalender von Hand: mit Bildern und Texten ihres Mannes, die sich um dieses Örtchen drehen, mit wachem Blick und Herz zu Papier gebracht. In seiner Lyrik finde ich auch meine Gedanken und Gefühle wieder, ich fühle mich verstanden und glaube, ihn zu verstehen, wow. Das alles nicht etwa schnöde in Buchform auf Hochglanz gedruckt, nein, die Frau hat die Texte ganz sauber ausgeschnitten und mit den Fotos zusammen aufgeklebt und auf die erste Seite den Titel geschrieben, in goldenen Buchstaben, fein und klar, wie die Zeilen in dem Brief. Ich bin tief gerührt. Und ich werde antworten, obwohl ich sonst höchst selten Briefe schreibe.
Ich habe schon davon berichtet, dass immer mal wieder Vorgängerinnen und Vorgänger oder ihre Angehörigen bei mir aufschlagen und neugierig sind: darauf, wie sich das Örtchen verändert hat, was geblieben ist, wie das Pfarrhaus aussieht und was der schöne Garten mit dem großen Apfelbaum in der Mitte macht. Ihre Erinnerungen gehören zu dieser Gemeinde, genau so wie die alten Kirchen, die, wie sie, Geschichten von früher erzählen. Von Verfall und Bewahrung, von Leben und Sterben, Freude und Leid, Abschied und Ankunft.
Bis heute Abend werde ich hier im Wohnzimmer in Schlumpihosen abhängen, ab und an die Katze streicheln und mich vielleicht etwas ans Klavier setzen. Dann kommen die Kinder zur Krippenspielprobe und Haus und Kirche werden erfüllt sein von ihrem Trubel. Wenn dann noch Schnee liegt und sie in der Pause im Garten spielen, werden ihre Stiefel und Schuhe Spuren im Weiß hinterlassen. Mit der Zeit werden sie verschwinden, aber ich werde wissen, dass sie da waren. Und die Kinder hoffentlich auch.
Vielleicht gucke ich in der Zwischenzeit doch mal, wo der kleine rote Stern abgeblieben ist.
Euch geneigten Lesenden eine gesegnete Adventszeit! Achtet auf euch und die, die euch am Herzen liegen. Am Ende geht es immer um Liebe. Peace out.
Eure plötzlichpfarrerin.
Eine Antwort zu “Die Polarität der Welt”
Danke für das Teilen der Kolleginnen-Weisheit! Das werde ich mir hinter die Ohren und vor Augen schreiben. Es eng-lastet! Ich wünsch dir eine gesegnete letzte Adventswoche und ein erwärmtes Herz am Weihnachtsfest. Lass es dir gutgehen!
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