Seit zwei Wochen befinde ich mich im dritten Examen. Ruth hat unlängst diesen Begriff erfunden und ich übernehme ihn dankend (danke, Ruth). Auf das dritte Examen hat einen niemand vorbereitet und es ist das Schwerste.
„Aufgrund meiner privaten Situation – Sie wissen ja, dass mein Partner in XX wohnt und dort auch arbeitet – habe ich mich dazu entschieden, mich ab sofort auf andere Stellen zu bewerben. Diese Entscheidung fällt mir nicht leicht, ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt, doch ohne meinen Partner ist diese Stelle für mich keine längerfristige..“ Während die Worte noch stockend meinen Mund verlassen kann ich beobachten, wie sie bei den Männern und Frauen im Presbyterium durch die Ohren, in den Kopf nach unten Richtung Herz sacken. Es dauert einen Moment – jemand atmet hörbar tief ein, dann folgt Stille.
Ich hatte Angst vor diesem Moment und das völlig zu Recht. Der Gemeinde zu verkünden, dass man vorhat zu gehen, ist wie Schlussmachen. Es liegt an mir, nicht an euch. Wir können Freunde bleiben, ich würde gerne Freunde bleiben. Wenn wenigstens die Wahrscheinlichkeit hoch wäre, dass sich jemand auf diese Stelle bewerben wird – aber nein, es zieht die meisten in die größeren und großen Städte und ich bin nun auch eine von denen, die weggeht. Crap. Ich habe für die Stellenanzeige ein werbewirksames Anschreiben verfasst und die Vorzüge der Gemeinde versucht darzustellen, mit sonnigen Fotos der sanierten Kirchen und vom Gemeindefest im Pfarrgarten unter dem Apfelbaum mit der gestreiften Picknickdecke. Ich bin auch traurig.
Vorhin habe ich ein paar der alten Blogeinträge gelesen und realisiert: so entspannt wird es ab sofort nicht mehr. Ich versuche der Kerngemeinde persönlich zu sagen, dass ich nicht bleiben werde. Die Reaktionen auszuhalten ist von nun an Teil meiner Arbeit – Trauerarbeit. „Aber wir haben noch gar nicht all unseren Bekannten von Ihnen und Ihrer tollen Arbeit erzählt – die haben Sie noch gar nicht kennengelernt! Und jetzt gehen Sie schon wieder? Ach..“ „Aber wer bestattet uns denn jetzt?“ „Wir verstehen Ihre Gründe, aber es ist sehr schade.“ „Wenn es wenigstens nicht so schön mit Ihnen gewesen wäre, dann wäre es jetzt leichter. Aber es hat doch so gut gepasst!“ „Sie haben mich gerade sehr, sehr traurig gemacht, Frau Hitchschmock.“
In der Nacht nach der Presbyteriumssitzung habe ich kaum geschlafen. Das ist bemerkenswert, schließlich habe ich nach der Sitzung mit Tina aus dem Presbyterium den Rest Whiskey von der letzten Gartenparty geleert. Sie hat geraucht, ich habe getrunken und wollte auch rauchen (hab ich aber nicht). Tina war richtig geschockt und brauchte eine Weile, um sich zu sortieren. Trotzdem fand sie so liebevolle Worte für meine Zeit in der Gemeinde (setzt die Verklärung einer Pfarrperson so schnell ein?) , dass ich feuchte Augen bekam. Tina ist die Frau meines Bestatters: „Armin kannst du das aber schön selber sagen, ich mach das sicherlich nicht.“
Der nächste Morgen war unangenehm, nicht nur wegen des Katers und des Schlafmangels. Im Büro erfuhr ich von unserer Sekretärin, dass Herr A. (auch Teil des Presbyteriums) in der Nacht überhaupt nicht geschlafen hatte und nun alles hinschmeißen möchte, es flossen sogar Tränen. Herr A. und ich waren nie richtig befreundet, aber zwischen uns herrschte eine unausgesprochene, tiefe Grundsympathie. Seit der Sitzung vor zwei Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen, es fällt auf, wenn er in den Gottesdiensten fehlt. Kommt er jetzt nie wieder? Vielleicht zieht er sich nun zurück und vielleicht ist das jetzt gut für ihn. Auch das muss ich aushalten, wider dem Reflex es irgendwie wieder gutmachen zu wollen. Ich gehe ja doch. Auch deswegen war ich dankbar, in der letzten Woche zu einer Fortbildung fahren zu können und der ganzen Trauer für ein paar Tage zu entfliehen. Der Trauer der anderen, aber auch meiner eigenen.
Heute Abend fahre ich zurück in die Gemeinde und den Soundtrack werden „Torpus & The Art directors“ bilden. Als Ulf und ich noch ganz frisch zusammen unterwegs waren, konnte ich erst gar keine Musik hören, weil ich so unfassbar nervös war. Die erste CD, die ich beim Autofahren überhaupt ertragen konnte, war „From Lost Home to Hope“ von Torpus. In meinen ersten Wochen im Dienst in der Gemeinde habe ich ausschließlich diese Musik im Auto gehört. Nun singt es seit 14 Tagen in mir immer mal wieder „Sad, sad, sad, oh sad..“, ein Torpus-Song, nur welcher? Eben fragte ich den Liebsten (der kann sich so Sachen besser merken) und seine Antwort war: „The Leaving“. Das erste Lied auf dem Album.