ploetzlichpfarrerin

  • Chronik einer Konfifreizeit

    März 31st, 2019

    Donnerstag, 28.03. 2019, 10.30 Uhr

    Ich sitze am Schreibtisch im Arbeitszimmer und versuche, etwas Platz zu schaffen. So viel Chaos! Die Traueragende kann jetzt weg, das Gottesdienstmäppchen und die Liederbücher auch. Morgen geht es zur ersten Konfifreizeit in der neuen Gemeinde und noch bin ich ziemlich planlos. Vier Trauergespräche innerhalb einer Woche und zwei Beisetzungen haben mich neben dem üblichen Krams (Gottesdienst, Seniorenkreis, Kita-Andacht, Konvent, Supervision, Geburtstagskaffee und Besuche, Büro) voll in Anspruch genommen. Aber jetzt: 19 Konfis, zwei Teamerinnen und zwei Hauptamtliche (ein Diakon und ich) für drei Tage auf dem Land (wohin sonst?) zum Thema Gottesdienst und Gebet. Langsam entsteht eine Tabelle mit Zeiten, Räumen, Menschen und Inhalten. Außerdem eine Liste mit Dingen, an die ich denken muss. Ganz schön viel. Zum Glück hat Rahel mich mit schlauen Ideen und Material versorgt. Endlich komme ich jetzt dazu, ihre Mails zu lesen und Anhänge zu öffnen. Die nächsten Stunden verbringe ich mit Ausdrucken, Abheften und Sortieren. Bücher und Ordner stapeln sich auf dem Schreibtisch, hektisch bastele ich am Laptop Arbeitsblätter zusammen. Sie sind nicht wirklich schön, aber immerhin mit Löwenzahn-Bildchen. Am Nachmittag sind in der Gemeinde noch Termine, erst abends wird die Tabelle endlich fertig und ich schicke sie dem Kollegen.

    Freitag, 29. 03. 08.35 Uhr

    Rahel ruft an, ich bin verzweifelt. Wie geht es dir? – Grauenvoll, ich bin so müde, als wär hätte ich die Fahrt schon hinter mir. Was is das denn für ein mieser Start? Und wie hast du das dann gemacht mit den Bildern und den Konfis? Und dem Buch? Warum kommst du nicht einfach mit? Diese Fahrt macht mich echt nervös. Ob die beiden Gruppen miteinander können? Ob ich das Mietauto finden und fahren kann? Ob die Vorbereitung reicht? Ob ich permanent ausrasten und pubertierende Jugendliche an Wände klatschen werde? Ob die Wahl des Ortes wirklich ok war?

    12.30 Uhr

    Im Gemeindebüro hat der Kopierer Papierstau. Natürlich. Schon zum zweiten Mal. Ich fluche und pöbele also laut herum, zum Glück ist die Sekretärin erst heut nachmittag da. Nebenbei laminiere ich bunte Bilder mit betenden Menschen, packe Kisten mit Liederbüchern, Bibeln, Heftern, Kerzen, Teelichthaltern, Stiften, Papier und Kissen. All das Gerümpel schleppe ich schimpfend Stück für Stück ins unfassbar große und schicke Mietauto, das einen Gang mehr hat als Ulf, aufregend.. Als Dankeschön von einer Beisetzung steht in meinem Büro (noch in Folie eingepackt) ein riesiger Blumenstrauß. Ich denke an die gestaltete Mitte und packe ihn noch schnell dazu.

    16.00 Uhr

    Etwas zittrig komme ich beim Freizeitheim an. Die Fahrt war ziemlich rough, wütende Autofahrer, viele Baustellen, ein Unfall, der ominöse sechste Gang und ständig machte das Diensthandy Geräusche aus dem Rucksack. Erst jetzt kann ich den AB abhören und die Nachrichten lesen – ein Stau lässt den Rest der Gruppe zu spät kommen. Ist ok, so haben Lars (der Diakon) und ich mehr Zeit für die Feinplanung. Lars ist Freizeit-erfahren, ich bin froh, dass er mitkommt und auch schon da ist. Als erstes zeigt er mir seinen lädierten Arm („schwer tragen kann ich nicht“), na super. Ich überlege mir eine geschickte Zimmeraufteilung. Ans eine Ende des Flures die Hauptamtlichen, ans andere Ende die Teamerinnen. Die bekloppten Jungs (verdammte Pubertät! Verdammte Gruppendynamik!) direkt bei mir gegenüber, dann ist der Weg nachts kürzer. Eine weise Entscheidung, mit der ich mir gekonnt ins eigene Fleisch schneide. Außerdem suche ich eine Vase und gebe den Blumen Wasser, ich finde eine Karte mit Gruß und mehreren hundert Euro, krass viel Geld. Die hätten auch gut in der Gemeinde bleiben können, oh je.

    20.00 Uhr

    Konfis springen wie Toastbrote in die Luft, mimen Waschmaschinen und schmachten James Bond an. Vorher haben sie schon die Evolution von Amöben zu Kakerlaken zu Affen und Menschen ausgefochten. Gelächter und Freude erfüllen den Raum, alle machen mit. Das Spielen macht Spaß, mir auch. Erste Zufriedenheit.

    20.45 Uhr

    Taizégebet: die Kerzen leuchten, wir sitzen auf dem Boden (zum Glück hab ich an die Kissen gedacht) und singen. Die bekloppten Jungs sitzen mir gegenüber und werden von Kicheranfällen geschüttelt. Manchmal singen sie hoch und schief mit. Ich werde so wütend, dass es für eine Taizéandacht wirklich nicht angemessen ist und schimpfe mittellaut. Beim Spieleabend danach erfreut man sich u.a. auch an den Werwölfen im Düsterwald, manche Dinge ändern sich wohl nie.

    Samstag, 00.04 Uhr

    Jetzt ist es wohl ok, Schlafsachen anzuziehen. Warum habe ich eigentlich die Oropax vergessen? Und Alter, Lars schnarcht ja unglaublich laut, das hört man durch die Wand! Und er spricht im Schlaf! Und singt! So laut! Und dieses Bett wackelt. Oh no, eine Mädchenstimme kreischt hinten. Also nochmal raus.

    2.30 Uhr

    Die bekloppten Jungs machen Krach. Mein Menschenhasser-Level steigt bedrohlich. Warum hört Lars das eigentlich nicht? Barfuß klopfe ich wütend an die Tür der Rabauken und fordere Ruhe. Als ich wieder im Bett bin, sind die Jungs zwar endlich leiser, dafür höre ich Lars umso lauter. Ich packe mein Bettzeug und ziehe in ein Bett auf der anderen Zimmerseite (insgesamt habe ich drei zur Auswahl). Eben hab ich mich so aufgeregt, dass ich jetzt nicht schlafen kann, so ein Scheiß. Und ich war doch schon morgens so müde. Wie soll ich das denn noch zwei Tage aushalten? Ulkige Gedanken kommen. Hab ich eigentlich genug Wäsche eingepackt? Wo bekomme ich morgen zur Not noch was gekauft? Ich brauch auch dringen Oropax! Lass ich morgen die bekloppten Jungs von ihren Eltern abholen? Oder geb ich ihnen noch eine Chance? Wieviele Chancen sind gerechtfertigt? Welche Form von Kirchenzucht könnte vielleicht doch Früchte tragen? Gaaaarh.

    10.00 Uhr

    Die Gruppe ist unfassbar müde. Die Toasts wollen nicht springen, und die Waschmachinen drehen kaum. Dafür sind sie insgesamt ruhiger. Sogar die bekloppten Jungs, wenigstens ein Vorteil dieser fiesen Nacht. Ich bin ziemlich grumpy, Lars ist besser drauf als ich (kein Wunder) und erklärt mit viel Liebe zum Detail die Geschichte des Gottesdienstes. Ein paar hängen schlaff auf ihren Stühlen, andere hören tatsächlich zu. Ich (in übrigens frischer Wäsche) versuche, interessiert zu gucken und nicht zu müde zu wirken.

    12.15 Uhr

    Meine improvisierten Arbeitsblätter zum Weg des Gottesdienstes („Du kannst echt nicht kopieren, Sara!“) haben es den Kleingruppen schwer gemacht. Nach ein bisschen Erklären ging es aber gut und die Gruppen präsentieren nun ihre Ergebnisse. Ich lausche andächtig, denn die haben sich wirklich Gedanken gemacht. U.a. mögen sie Gebetsstille und die Musik (ha!). Sie können Predigt genießen und daraus etwas mitnehmen. Bei den Lesungen ist es für sie schwieriger, sich mitgenommen zu fühlen. Einer der bekloppten Jungs hat einen Löwenzahn auf ein Plakat gemalt, na immerhin waren die für etwas gut.

    15.00 Uhr

    Guck an, ohne zu murren läuft die Gruppe bei herrlichem Sonnenschein fast 40 Minuten in die benachbarte Kirche, um dort etwas Kirchenraumpädagogik zu machen. Lars und ich sind die Letzten, auch weil wir die Langsamsten sind. Die Stimmung ist gut. Wenn das jetzt in der Kirche läuft, geb ich ein Eis aus.

    20.20 Uhr

    In Workshops haben die Jugendlichen nach dem Ausflug mit anschließendem Eis einen Gottesdienst zusammengebastelt, komplett mit Liedern, Anspiel, Gebeten, Predigt, Moderation und Ideen für die Raumgestaltung. Die Teamerinnen, Lars und ich staunen: das könnte morgen, wenn die Eltern zum Gottesdienst hierher kommen, richtig, richtig gut werden.

    21.20 Uhr

    Nachtwanderung. Dunkel. Hysterisches Gegacker. Die Sterne funkeln sehen. Sich durch einen Parcours helfen. Nach sieben Minuten wieder im Haus, kürzeste Nachtwanderung der Welt, trotzdem ok.

    Sonntag, 00.30 Uhr

    DIESE VERDAMMTEN IDIOTEN! Die rufen und poltern durch den Flur, als ob es kein Morgen gäbe. Dabei ist da doch Gottesdienst! Gehört, auch noch durch die Oropax, die Lars zum Glück für mich noch übrig hatte. Ich stürme rüber, reiße die Tür auf und beschwere mich lauthals. Gott sei Dank ist diese Freizeit morgen vorbei. Immerhin macht hier keiner Quatsch mit Alkohol oder Rauchen und bisher musste niemand in die Notaufnahme, aber trotzdem. Diese Nächte, diese Unruhe und die Verantwortung, puh.

    10.59 Uhr

    Die Glocken draußen läuten (machen Konfis), der Raum ist mit Eltern und Geschwistern gut gefüllt. An der Wand ein gebasteltes Kreuz aus Holz, die Bilder der Betenden. auf den Tischen an der Seite leuchten Kerzen, auf dem Altar sind die Blumen, eine Bibel, eine große Kerze und der kleine Gesprächslöwe. Ich sitze am Klavier, gleich geht es mit dem Vorspiel los. Ein bisschen nervös bin ich schon, aber auch optimistisch. Die werden das schon gut machen, die jungen Leute. In mir macht sich schon jetzt Dankbarkeit breit, die Feedbackrunde vorhin ist ganz positiv ausgefallen („gute Zeit, tolle Gruppe, gute Raumaufteilung, was gelernt, Essen ok“). Ich spiele die ersten Töne von Bless the Lord und groove mich langsam ein. Mal einfach so Musik machen ist auch toll. Das Klavierspielen macht Spaß. Dann treten der Moderatoren auf und die Jugend übernimmt das Wort. Und es wird wirklich gut.

    16.00 Uhr

    Ich warte müde auf den Bus, der mich nach Hause bringt. Das Auto ist abgegeben, Lars und ich haben vorhin Kisten und Gedöns zusammen (das ist so viel einfacher!) ins Gemeindehaus gebracht, endlich ist Feierabend. Was für ein Glück und Segen, dass diese Fahrt so gut gelaufen ist! Dass sogar die bekloppten Jungs ihre gegenwärtigen Momente hatten, dass die Andachten dicht und stimmig waren, die Jugendlichen beim Singen mit den Füßen mitgewippt haben und dass trotz allem Schlafmangel und allem Unmut immer noch irgendwoher Energiereserven angekrochen kamen und das eine oder andere Glücksgefühl. Tatsächlich, schön wars.

  • Immer noch Neuanfang

    März 10th, 2019

    Vor einer Woche feierten wir in der Gemeinde einen Familiengottesdienst zum Weltgebetstag. Mit gedeckter Tafel in der Kirche, Aktionen vom KiGo-Team, einem ausgeliehenem Beamer (ich hab es immer noch nicht geschafft, den kaputten reparieren zu lassen, ups) und sogar auch ein paar Kindern. Ich war fein raus und habe „nur“ gepredigt, den Rest hat das Team übernommen – das ist vielleicht ein Luxus! Trotzdem wollte an dem Sonntag nicht so richtig Stimmung aufkommen, was auch daran gelegen haben wird, dass die Wochen davor ganz schön arbeitsintensiv und die Tage vor Sonntag nervenaufreibend, aber auch erkenntnisreich waren.

    So eine Gemeinde ist ja ein vielfältiger Haufen, der sich zu Teilen gerne mal aufführt wie ein Irrenhaus, unabhängig von Alter, Familienstand und Bildung. Ich schrieb hier schon davon, dass es Rumorereien unter den „älteren Frauen“ gab, weil ich manche Menschen zur Begrüßung umarme. Neuerdings nimmt die Fraktion der nicht klar definierten besorgten Damen angeblich Anstoß an meinen Segensworten. Den Segen spreche ich inklusiv (Gott segne…Gott lasse ihr Angesicht..Gott lasse sein Angesicht…). Das passt manchen nicht: Ist ja auch anders als in der Bibel, wie die Neue das macht. Und anders, als ihr Vorgänger das gemacht hat. Und anders, als die anderen Pfarrerinnen und Pfarrer die wir kennen. Also gilt und wirkt der am Ende nicht. Um Himmels Willen!!!!!! Man könnte natürlich mit der Pfarrerin darüber reden, aber am Ende würde sie verständnisvoll zuhören und unsere Sorgen ernst nehmen und vielleicht sogar noch angemessen darauf reagieren und vielleicht würden wir dabei auch noch unseren Horizont erweitern, omg – das kann doch nun wirklich niemand wollen und von uns verlangen.

    Und obwohl es mir hier sonst auf vielen Ebenen richtig gut geht und es nur eine diffuse Handvoll Menschen von über 2000 Gemeindegliedern ist, die sich offensichtlich gerade in der Regression befindet, war ich letzten Sonntag in recht verdrießlicher Stimmung und kaute auf meinen Gedanken herum: Es ist hier eben doch immer noch ein Neuanfang für alle Beteiligten. Reibung passiert, Abgrenzung auch und ebenso kommt es zu Befindlichkeiten und manchen Enttäuschungen. Wahrscheinlich ist das alles total im Rahmen, aber das macht es nicht weniger nervig. Erstaunlich, wie sehr eine vergleichsweise kleine Episode einem die Stimmung versauen kann. Und warum gibt es in der Stadt ältere Frauen, die scheinbar so gar nicht auf mich klarkommen? Und wo waren die auf dem Land? Oder hab ich die einfach nicht bemerkt oder gekonnt verdrängt? Die machen mich noch alle ganz wahnsinnig! Meine Verdrießlichkeit begann gerade sich in einen mittleren Menschenhass-Anfall zu steigern, als eine SMS aus meiner alten Gemeinde kam und mich anders aktivierte. „Liebe Frau Hitschmock, meine Mutter liegt im Sterben. Könnten Sie die Beisetzung machen? Es kennt sie sonst ja niemand. Ihre traurige C. B.“

    Als ich vom Gottesdienst zuhause ankomme, rufe ich bei ihr an. Ihre Stimme hab ich so oft gehört, ich kenne ihr Lachen, aber nicht ihr Weinen. Kurz darauf fahre ich mit einem blauen Autochen namens Jerry (geliehen von Freunden) in meine alte Gemeinde und hoffe, dass die Mutter von Frau B. noch etwas durchhält. Eine Beisetzung in den kommenden Tagen schaffe ich nicht, aber eine Andacht zur Begleitung heute, das geht. Während ich fahre, werden mir die Straßen langsam vertrauter wird und die Landschaft scheint mich mich liebevoll in ihre weiten Arme zu nehmen. Und ich staune: das gibt es ja auch noch alles. Es fühlt sich an wie Luftholen nach einer langen Atempause.

    Bei Frau B. hat sich in der Küche eine kleine Gemeinde für die Andacht zusammen gefunden, Nachbarinnen, Freundinnen – man kennt sich und hilft sich, auch jetzt. Ich kenne alle. Es ist ein herzliches Wiedersehen, ich werde auf den neuesten Stand gebracht (eventuell bald ein Nachfolger!) und erzähle von mir und wieder staune ich: das ist ja alles noch da. Die sind alle noch da. Gott sei Dank. Wir haben öfter hier in ihrem Haus oder im Hof gesessen, bei Kaffee und Kuchen und belegten Broten. Ganz früher hab ich mit Frau B. auch mal genüsslich Zigaretten geteilt, ach hach. Heute steht auf dem Küchentisch ein Teller mit Käse – und Schinkenschnittchen und kleinen sauren Gurken. Ich bin gerührt, dankbar und auch wirklich hungrig.

    Die Mutter von Frau B. liegt im Zimmer nebenan, die Tür ist weit offen, wir hören sie atmen, etwas unruhig, aber regelmäßig. Manchmal lacht sie leise. Sie ist eine sanftmütige und liebevolle Sterbende, scheint gelöst, fast fröhlich. Obwohl sie schon sehr schwach (und auch dement) ist, kann sie bei „Lobe den Herren den mächtigen König“ einstimmen, sie betet das Vater Unser mit großen, wachen Augen mit und lässt sich mit duftendem Salböl segnen. Beim Abschied sage ich: Ich habe mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen! Und sie antwortete mit hellem Blick: Ich mich auch!

    Frau B. und ich umarmen uns kräftig als ich mich wieder auf den Weg nach Hause mache. Ich fahre erschöpft, aber beschenkt zurück. Wer hätte gedacht, dass aus so viel Verdrießlichkeit und Grummelei noch etwas so Wunderbares wachsen könnte? Und dann bleibt am Ende: so viel Liebe.

  • Momente für die Ewigkeit III

    Februar 8th, 2019

    Samstagabend letzte Woche, gegen 22 Uhr. Vor einer Stunde bin ich heimgekommen von einem Familiengeburtstag. Zum ersten Mal bin ich nicht mit Ulf, sondern mit einem geliehenem Auto (sehr neu, sehr sauber, sehr nicht-Ulf) unterwegs gewesen, was aufregend war. Dass man Autos über Fotos mit dem Smartphone öffnen und wieder abschließen kann, erscheint mir irgendwie übersinnlich.

    Samstage sind, wenn ich sonntags Dienst hab, stets von einer gewissen Unruhe durchzogen. Predigt und Liturgie sind dann zwar meistens grob fertig, aber oft fehlen noch Fürbitten und einzelne Gebete. Außerdem lese ich mir alles noch einmal durch und schraube hier und da noch an ein paar Formulierungen. Das braucht dann noch ein bisschen Zeit und Mühe, dann kann ich alles ausdrucken und in mein schwarzes Mäppchen heften.

    Vorgestern war ich mit zwei Freundinnen unterwegs die sich für einen kurzen Moment darüber unterhielten, dass sie ihre Drucker eigentlich nie mehr benutzten. Höchstens für Bahnreisen oder mal ein Konzertticket. Ich hingegen brauche meinen Drucker ständig, all die Ansprachen und Andachten und was nicht alles. Nach dem Umzug musste ich ein neues Exemplar kaufen, das zwar schick weiß, aber irgendwie etwas eigensinnig ist. Ständig piepst und ruckelt was oder es behauptet, es könne kein amerikanisches Papierformat. Autos können Technik offensichtlich besser als Drucker.

    An einem typischen Samstagabend habe ich außerdem immer die klamme Befürchtung, dass ich ein Gedenken vergessen könnte und dann eine Trauerfamilie erwartungsvoll und mitgenommen in den Bänken sitzt, und ich die verstorbene Person vergesse abzukündigen. Nicht schön. Also schau ich lieber doppelt durch meine Unterlagen (Name richtig? Geburts – und Sterbedatum korrekt? Was war noch mal der Bibelspruch?) und erst dann bin ich beruhigt. In der neuen Gemeinde gibt es zudem immer eine Lektorin oder einen Lektor (Luxus!). Seit der Perikopenrevision herrscht etwas Verwirrung über Abläufe der Lesungen, also drucke ich zur Sicherheit die Texte für die Lesenden noch einmal aus, damit alle orientiert sind. Dann schreibe ich noch die Lieder auf einen Zettel (wobei ich mich fast am Meisten konzentrieren muss, denn meine Handschrift neigt zum Chaos), damit jemand am nächsten Morgen vor dem Gottesdienst die Liednummern an die Liedertafeln stecken kann.

    Letzte Woche ich also: müde und erschöpft von den Autofahrten endlich am Schreibtisch. Ich drucke Liturgie aus (inklusive richtiger Daten der verstorbenen Frau H. und mit eben noch formulierten Gebeten), drucke Predigt aus, Blätter fliegen mit hohem Schwung durch das Arbeitszimmer (Halterung am neuen Drucker vergessen auszuklappen, mööp), ich hefte alles ein. Die Katze tapst erwartungsfroh über den Schreibtisch, nagt am Bildschirm (Chrrr!Chrrr) und verteilt großzügig Katzenhaare. Dann die Lesungen für die Lektorin , die kommt in den großen, roten Papphefter (den ich seit 15 Jahren, den Tag meiner Immatrikulation an der Uni, eigentlich den Eltern einer Freundin zurückgeben wollte) zu dem Zettel mit den Liedern, dann falle ich ins Bett mit dem guten Gefühl, an alles gedacht zu haben.

    Sonntagmorgen, gegen halb elf. Ich stehe am Pult und blicke in den vollen Gemeindesaal. Hinten sitzt die Trauerfamilie von Frau H., einige aus dem Presbyterium sind da, gleich drei Pfarrer im Ruhestand, teilweise mit Ehefrauen, insgesamt um die 40 Leute (riesen Luxus!!). Der Organist, der heute Klavier spielt, setzt sich auf meinen freigewordenen Stuhl, es kann losgehen mit der Predigt.

    Ich lese ab, aber gucke dazwischen immer mal wieder hoch, lasse Pausen. Der Einstieg um die Kitakinder und um Dankbarkeit macht Spaß. Bei meinem Vorschlag, statt shitstorms lovestorms in die Welt zu setzen wird zustimmend gelacht. Der Übergang zum Predigttext ( der Anfang des ersten Korintherbriefes) läuft, Verlesung des Textes auch, ich blättere um und vor mir sehe ich: den Schlussteil der Predigt. Aber der ist jetzt noch gar nicht dran. Ich blättere nach vorne und nach hinten, aber, der zweiseitige Hauptteil um Paulus fehlt. Und der war so schön! Wah! Ich blicke in die Gemeinde (ernste Gesichter) und versuche ein paar Sekunden lang, einfach weiterzureden (the show must go on), aber ich hab total den Faden verloren und ich vermute, man sieht mir meine Verwirrung auch an und manche gucken etwas besorgt und was ich sage, ergibt zudem leider auch nicht viel Sinn. Da hilft nur Ehrlichkeit:

    Ja, liebe Gemeinde. Wie es aussieht, fehlt mir heute ein Teil meiner Predigt. Das ist jetzt etwas…Hmmm, ok, geben Sie mir einen Moment, ich krieg meine Gedanken hoffentlich noch zusammen. Es folgen einige, äußerst angespannte Momente der Stille. Ich versuche mich mit aller Kraft zu erinnern (wenn ich wenigstens Stichpunkte hätte! Und warum hab ich mir vorher nicht nochmal alles durchgelesen?! Crap!), dann fällt mein eigener Bogen wieder ein (ha!). Gnade im Griechischen, die Bedeutungen von Charis, dann zum bekannten Bild vom Leib mit den vielen Gliedern über die Gemeindegespräche zur Jahreslosung (innerer Frieden wirkt äußeren Frieden, auch über Dankbarkeit) und den Schlussteil hab ich dann ja wieder in Schriftform.

    Während ich aus Versehen frei predige (was ich, mit guter Vorbereitung – wenigstens Stichpunkte!-, durchaus auch gerne öfter machen würde), gestikuliere ich, um meine Gedanken verständlicher zu machen. Die Gemeinde folgt mit den Augen meinen Bewegungen, ein Pfarrer nickt nachdenklich, mit zusammen gekniffenen Augen. Ich glaube, alle in diesem Raum geben sich gerade richtig viel Mühe. Und mir ist unheimlich heiß. Ich freue mich über jeden klaren Gedanken, den ich fassen kann und der mit der Predigt und ihrer Aussage zu tun hat. Im Schlussteil angekommen, entspanne ich mich etwas, aber es ist auch plötzlich komisch, den Blick ins Mäppchen zu senken und nicht mehr in die Gesichter der Gemeinde schauen zu können. Das ist ein neues Gefühl.

    Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen. Erleichterung rollt durch den Raum wie eine kleine Lawine, jemand vorne links beginnt zu klatschen. Ich muss lachen und gleichzeitig den Kopf schütteln, über meine eigene Schusseligkeit, aus Verlegenheit und aus Glück (Gott sei Dank!), dass es jetzt doch noch irgendwie geklappt hat. Das war Gnade in Reinform, puh. Die Gemeinde freut sich mit mir und auch das tut gut. Per Mail schreibt jemand einen Tag später: Vielleicht ist es sogar gut, wenn Sie ab und an Ihr Manuskript zuhause lassen?

    Als ich nach dem Gottesdienst erschöpft, aber zufrieden nach Hause komme und meine Sachen ins Arbeitszimmer bringe, entdecke ich auf dem Fußboden vor einem Regal die fehlenden Seiten. Die sind aber weit geweht worden, da habe ich beim Aufsammeln gestern gar nicht hingeschaut! Ich überfliege meinen Text und stelle beruhigt und nochmal anders erleichtert fest, dass ich das Meiste tatsächlich gesagt hab. Was für eine Aufregung! Jeden Sonntag würde ich das nicht aushalten, aber wer weiß, vielleicht wirklich ab und an?

  • Ein Nachruf

    Januar 23rd, 2019

    Die erste Begegnung mit ihm war über das Internet. Er war einem Bekannten aufgefallen, der mich auf ihn aufmerksam machte: Sara, könnte der nicht was für dich sein?“ Auf dem Foto strahlte er in der Sonne. Gutaussehend, richtig sportlich für sein Alter. Eigentlich hatte ich mich mit einem anderen gesehen, größer und kräftiger, vielleicht ein Schwede. Dennoch zog der Kleine meine Aufmerksamkeit auf sich und weckte mein Interesse, obwohl die Farbe (Zitat Bekannter) Geschmackssache sei.

    Im Herbst 1996 fuhr Ulf seine ersten Kilometer auf Deutschlands Straßen. Er wuchs auf in ländlichem Gebiet, zwischen weit gezogenen Wäldern, Kleinstädten und Dörfern. Seine ersten Besitzenden werden sich erfreut haben an seiner (damals noch) modernen Ausstattung: Klima, ein Schiebedach, elektrische Fensterheber. Ein Auto, das mit seiner Farbe auffiel und auch durch seine Schnelligkeit, auf der Autobahn machte ihm niemand etwas vor. Ulf fuhr und fuhr, über Stadt und Land, viele Jahre gut versorgt und gepflegt. Eine behütete Kindheit und Jugend.

    Eines Tages wurde er von einem jungen Mann übernommen, der davon überzeugt war, dass er sich mit Autos auskannte. Ihm verdankte Ulf eine nachgerüstete Standheizung und eine beachtlich laute Soundanlange im Kofferraum. Nun war Ulf nicht nur gut zu sehen, sondern auch aus kilometerweiter Entfernung zu hören. Das war seine wildeste Zeit, an die die eine oder andere kleine Beule oder nicht schließende Tür später erinnern würde.

    Ob Ulf in diesen Jahren oder davor mit den Glauben in Berührung gekommen ist, können wir nicht sagen. Darüber sprach er nicht, so wie er auch sonst ein eher wortkarger Zeitgenosse war. Aber als einige Zeit später eine junge Pfarrerin und Fahrerin (Führerschein damals ganz frisch) ihn aufnahm und schließlich einen kleinen, gelben Fisch auf sein Heck klebte, schien er sich zu freuen. Seit er auf dem Weg zu einem Festival mit Gaffa-Tape am linken Auge notoperiert werden musste, war seine frische Optik beeinträchtigt, aber Ulf nahm es mit einem fröhlichen Zwinkern, das er nie wieder verlor. Auch die kleineren und größeren Blechschäden aus den Jahren seines Pfarrfahrdienstes haben ihm nie wirklich etwas ausgemacht, er behielt sein jugendliches Aussehen und seine durchtrainierte Haltung. Ulf war eben hart im Nehmen und fuhr und fuhr. Jetzt von Dorf A bis Dorf H, auf sandigen Waldwegen und holprigen Dorfstraßen, knapp an Füchsen, Wildschweinen und Hirschen vorbei, an Badeseen und durch verschneite Landschaften, zu Kirchen und Dorfgemeinschaftshäusern. Mit Kindern auf dem Rücksitz oder nöligen Konfirmandinnen und Konfirmanden, manchmal mit Seniorinnen, die Gitarre im Kofferraum neben der Kiste mit Liederbüchern und frischen Eiern von den glücklichsten Hühnern der Welt und einem Reste-Paket aus dem Gesprächskreis mit geschmierten Broten und Kuchen.

    Mit Ulf fuhr ich durch Abende und Nächste um mit der Band zu proben, Freundinnen und Freunde zu treffen, Menschen im Urlaub von Bahnhöfen abzuholen, um zu meiner Familie zu kommen und selbst Urlaub zu machen. Wir waren in den Bergen und am Meer und auch in der Wüste. Mit Ulf habe ich atemlos und ohne dabei Musik hören zu können (so viel Aufregung) die erste Autofahrt alleine in meine erste Gemeinde unternommen. In Ulf habe ich gelacht, erzählt, geküsst, gesungen und geschrien, ich habe zugehört und geweint, nachgedacht, gebetet und geschlafen (nicht beim Fahren natürlich), getanzt und telefoniert. Ich wurde mit Ulf zwei Mal rausgewunken, des Öfteren geblitzt und angehupt, wir wurden gemeinsam bewundert, aber auch bemitleidet. Es hätte noch lange so weitergehen können.

    Aber der letzte große Umzug in die Stadt muss für ihn zu viel gewesen sein. Plötzlich änderte sich sein Charakter. Er wurde bockig und aufbrausend, neigte zum Explodieren. Manchmal fuhr er einfach nicht mehr los. Vier Mal wurde er seit Dezember abgeschleppt, was eigentlich überhaupt nicht seine Art war. Ein Mechaniker fand nach langen Untersuchungen die Ursache: die Bastelarbeiten in seiner wilden Jugendzeit rächten sich im Alter. Ulf verlor nun alle(n) Kraft(stoff), die (Kraftstoff-)Pumpe wurde immer schwächer bis sie schließlich gar nicht mehr ging. Lebenserhaltende Maßnahmen lehnten wir beide ab. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

    Alles, was mir von Ulf bleiben sollte, passte in eine rote Plastikkiste. Als ich mit der Kiste und feuchten Augen in der Werkstatt stand, versuchte mich ein Mitarbeiter zu trösten: Sie werden noch viele, viele Autos fahren und die werden schöner sein.

    Ich schüttelte nur traurig den Kopf. Ich wollte doch niemals ein anderes Auto fahren. Jetzt fährt Ulf ohne mich. Er fährt und fährt, in einer anderen Welt. Und eines Tages, da sehen wir uns vielleicht wieder. Und dann wird er mich anzwinkern und ich werde die Fahrertür öffnen und immer noch wissen, dass ich sie zwei Mal zuziehen muss. Und wenn wir dann zwischen gelb blühenden Feldern dem Horizont entgegen fahren, werde ich das Schiebedach öffnen, den Fahrtwind genießen und die Anlage ganz laut aufdrehen und mitsingen und mit wippen: If you´ll be my bodyguard I can be your long lost pal I can call you Betty And Betty, when you call me, you can call me Al.

    Lieber Ulf, es war mir eine Ehre. Auf Wiedersehen.

  • Neues Jahr, neuer Wahnsinn

    Januar 6th, 2019

    Nach dem Weihnachtsirrsinn und Silvestertrubel war an diesem Wochenende endlich etwas Zeit für Quality-Time mit den Mädels (die nach wie vor zwar aus den Augen, aber überhaupt nicht aus dem Sinn sind). Das war auch dringend nötig. Obwohl die Weihnachtsdienste in der neuen Gemeinde deutlich anders sind als noch auf dem Land (weniger Krippenspiele und Fahrerei, überhaupt weniger Dienste), waren sie doch auf ihre Weise kräftezehrend. Nicht nur, weil alles hier noch ungewohnt und ungeübt ist (ich habe tatsächlich etwas gefremdelt mit all den unbekannten Menschen bei der Christvesper und hatte Heimweh nach meiner ersten Gemeinde), auch weil Gottesdienst vorbereiten und Gottesdienste feiern irgendwelche energetischen Sachen mit einem macht.

    Die ersten Dienst-Tage im neuen Jahr waren zwar noch relativ ruhig, aber der schon jetzt prall gefüllte Kalender konnte sich so ungestört gedanklich zu einem schönen Scheinriesen aufbauen und ekligen Stress auslösen: OhGottderGemeindebriefder Ehrenamtsempfangdie Konfizeitdie Taufen im Januarder Kindergottesdienstdie junge GemeindediePresbyteriumssitzungderArbeitskreisdieKitaandachtendernächsteGottesdienstdieAndachtdieSeniorenkreisedieBaustelledieGeflüchtetenunterkunftWaaaah. Von wegen frischer Neuanfang, hier war mehr so Neujahrsdepression. Dazu kam dann noch Herzschmerz, weil ich mich demnächst von Ulf trennen muss. Der ist explosionsgefährdet (deswegen roch er innen manchmal so komisch nach Benzin, ich hatte mich schon etwas gewundert) und eine Reparatur lohnt sich nicht mehr. Ich hatte wohl ganz schönes Glück dass mir (und anderen) mit ihm nichts passiert ist. Trotzdem doof, ich habe noch vor wenigen Wochen einem Freund glaubhaft versichert, dass ich niemals ein anderes Auto würde fahren wollen. Niemals. Tja..

    Deshalb also: Flucht zu lieben Menschen. In diesem Fall zu Julia, die mittlerweile in einer Studierendenstadt Pastorin ist. Unsere Frederike war leider dienstlich verhindert (immer diese Gottesdienste, tzzzz), aber dafür kam Jana angereist mit einer beachtlichen Babykugel.

    An einer Wand in Julias Badezimmer hängen Postkarten und Fotos, u.a eines von ihr, Frederike, Jana und mir auf einem Steg an dem großen Fluss in der Stadt, in der wir für ein paar Semester gemeinsam studiert haben. In einem Knäuel hängen wir da alle aufeinander und schauen unbeschwert und fröhlich in die Kamera. Fast kann man uns gackern und juchzen hören. Seinerzeit konnte ich noch ganz bequem mit dem Rad zu Julia oder Jana tüdeln, auf ein Bier und Musik machen am Abend (Julia), bzw. auf Sekt und Kippen auf dem Balkon (Jana). Heute braucht es entweder einen Ulf (ach, ach…) oder eine lange Fahrt mit ICE und Öffentlichem Nahverkehr und mindestens ein für alle predigtfreies Wochenende, oder eben Mutterschutz, damit wir uns sehen können. Und wir trinken alkoholfreien Sekt (Jana) und viel Tee und Kaffee, und ein wenig Rotwein. Mehr als wenig Rotwein vertrage ich auch nicht. An Silvester hatte ich das (nach dem Gottesdienst und in geselliger Runde bei Anna) vergessen und einfach viel getrunken, was lecker war und Spaß gemacht hat, aber doch unangenehme Folgen hatte (zum Glück kein Dienst an Neujahr).

    Davon erzählte ich Julia und Jana gestern, während wir gemütlich und entspannt im Wohnzimmer herumlümmelten. Wenn Pfarrmenschen zusammen kommen, geht es auch oft um den Wahnsinn im Dienst (ihr habt vielleicht auch schon irgendwo davon gelesen :-P), davon gibt es ja auch eine ganze Menge. Jana und Julia haben da auch so ihre Stories zu bieten und wir erfanden für unsere Gesprächsbeiträge den schönen Titel „Kotz – und Motzgeschichten“. Die Maus war gestern, hier kommt der Kater. Ein paar Auszüge für euch:

    Jana hat es nach einer Beisetzung erlebt, dass ein Angehöriger sich Wochen später am Telefon darüber beschwert hat, dass sie beim Singen nicht stand und nicht in die Gemeinde geguckt hat und ihre Haare angeblich die Sicht auf ihr Gesicht verhindert hätten.

    Julia hat von ihrem Vorgänger einen Hausmeister geerbt, der keine Dienstbeschreibung hat, Vollzeit angestellt ist, aber immer um 14 Uhr seinen Dienst beendet, um seinem Zweitjob nachzugehen.

    Jana hat einen Kollegen der sich weigert, einen gemeinsamen digitalen Kalender zu nutzen und der niemals seinen freien Tag einlöst.

    Frederike war zwar nicht anwesend, aber ihre Motzgeschichten (wir telefonieren regelmäßig) haben es dafür besonders in sich. Sie wurde tatsächlich einmal von einem Gemeindeglied als „Enttäuschung“ beschimpft.

    Man macht schon ganz schön was mit. Aber natürlich nicht nur mit so Nervkram. Es gibt auch genügend Lach – und Sachgeschichten im Leben von Pfarrmenschen, sonst würde ja niemand diesen Wahnsinn aushalten. Und jede*r könnte damit mindestens einen Blog füllen. Oder einen Roman, oder das Skript für eine Serie. Aber das ist hier ist mein Blog und deswegen hier zum Schluss ein paar schöne Blitzlichter aus meinen letzten Wochen:

    Eine Postkarte von Frau S. Aus Dorf G meiner alten Gemeinde: Wir vermissen Sie so. Schöne Grüße von unserer Kaffeerunde, ich drücke Sie, Ihre Frau S.

    Eine Weihnachtskarte von einer Familie aus der neuen Gemeinde: Wir sind froh, dass du jetzt zu uns gehörst. Frohe Weihnachten!

    Dass jemand aus der neuen Gemeinde Ulf mit mir in die Werkstatt abgeschleppt hat.

    Wie sich meine Konfis in der WhatsApp-Gruppe alle gegenseitig ein frohes neues Jahr gewünscht haben (die gehen so süß miteinander um).

    Das Weihnachtsfestessen, das meine Mutter uns gekocht hat am 1. Weihnachtsfeiertag.

    Dass manche aus der Gemeinde noch Tage später Themen aus meiner Predigt aufnehmen und miteinander darüber reden.

    Dass ich fantastische Menschen in meinem Leben habe, die mir das Herz wärmen und mich mit Kotz- und Motz und Lach – und Sachgeschichten, aber vor allem mit unendlich viel Glück und Liebe erfüllen.

    Insgesamt also ganz schön viel Segen. Schöner Wahnsinn. Halleluja!

  • Aus gegebenem Anlass VI

    Dezember 25th, 2018

    Predigt für die Christvesper 2018

    Weihnachten – bedeutungsvollere und erwartungsgeladenere Feiertage gibt es kaum. Weihnachten geht an Herz und Nieren. Da spielen Wünsche und Sehnsüchte eine Rolle: endlich wieder Zeit mit der Familie, das leckere Festtagsessen, geliebte Menschen beschenken und selbst beschenkt werden, erzählen und diskutieren und lachen, spielen, gemeinsam spazieren gehen. Aber auch Erinnerungen sind an Weihnachten wichtig: an Großmutters einzigartigen Kartoffelsalat, die kleinen Glasvögel am Weihnachtsbaum, früher war mehr Lametta, den abendlichen Gang zur Kirche, die kribbelige Vorfreude auf den Gabentisch, die harten Kirchenbänke, die seit Jahrzehnten gleich sind, das „Oh du Fröhliche“ am Ende des Gottesdienstes.

    Weihnachten erhält seine je eigene Intensität durch das, was wir, was jede und jeder von uns, mit Weihnachten verbindet. Und dadurch, welche Bedeutung wir dem Weihnachtsgeschehen beimessen, beimessen wollen.

    Ich glaube, die meisten Menschen feiern an Weihnachten, dass uns ein Kind geboren wurde. Darum geht es schließlich. Ein Kind wurde geboren auf einem Feld bei einer Stadt, die, laut google maps, 4000 km weit von uns weg ist, 40 Autostunden, Richtung Ungarn, durch die Türkei, Syrien und den Libanon und dann wäre man endlich angekommen, in Bethlehem.

    Die Suchmaschine weist mich bei der Recherche darauf hin, dass „mein Ziel in einer anderen Zeitzone liegt“. Wie richtig sie damit liegt!

    Ein Kind wurde uns geboren, und zwar vor über 2000 Jahren. Der Stall, Maria und Josef, die Engel und natürlich das Kindlein, Jesus. Wer Weihnachten feiert, weiß das. Sonst wären wir ja heute auch nicht versammelt.

    Aber, wer Weihnachten feiert weiß auch, dass die Dinge nicht immer so laufen, wie man sie sich vorgestellt hat. Weihnachten birgt auch so seine Überraschungen. Und hier habe ich eine für Sie:

    Das Kind, von dem es im Predigttext für heute heißt, es wurde uns geboren – dieses Kind trägt nicht den Namen Jesus. Mit dem Kind ist nicht einmal Jesus gemeint, sondern tatsächlich jemand, der viele hundert Jahre vor Jesus geboren wurde. Keine Sorge – ich versichere Ihnen und euch, dass dieser Umstand der weihnachtlichen Freude keinen Abbruch leistet, sondern sie hoffentlich sogar noch größer macht.

    Der Prophet Jesaja schreibt im 9. Kapitel:

    Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;

    Jesaja dachte wahrscheinlich an den jungen König Hiskia, als er diese Zeilen schrieb. Aber für mich ist heute etwas anderes bedeutsam: In die Freude über das geborene Kind mischt sich eine Freude, die über jenen König und sein politisches Wirken und Schaffen weit hinaus geht, eine universale Freude. Jesaja jubelt über Gottes Wirken in dieser Welt. Er schafft den Frieden und die bessere Welt, nach der er sich sehnt. Erfüllt davon schreibt er seine Vision:

    1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. […]

    Auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

    Einige hundert Jahre später kennen die Menschen des Volkes Israel diese Worte, denn sie sind Teil ihrer Heiligen Schriften. Man liest die hoffnungsvolle Friedensvision des Propheten Jesaja bei den Gottesdiensten im Tempel und in den Synagogen. Man ist mit ihrem Klang und ihren Bildern vertraut. Die Hoffnung auf den kommenden Friedensfürsten ist lebendige Glaubenstradition.

    Und dann wird wieder ein Kind geboren, in einem Stall auf einem Feld nahe Bethlehem. Und die Mutter und Josef, die Hirten und auch die weisen Männer aus dem Morgenland, sie alle sehen dieses Kind und spüren, das etwas Besonderes mit ihm ist, das ein Leuchten von ihm ausgeht. In dem Kind scheint etwas auf, dass sie an die alten Texte erinnern lässt, an Jesajas Worte vom Licht in der Dunkelheit, von der Freude und einer Königsherrschaft, die Recht und Gerechtigkeit mit sich bringt und ewig bleiben wird. Sie sehen das Kind mit dem Namen Jesus und hören in sich die wunderbare Verheißung des Propheten – uns ist ein Kind geboren. Du weckst lauten Jubel. Du machst groß die Freude.

    Auch aus der Erinnerung an diese Worte wächst in den Menschen damals die Überzeugung, dass Gott in diesem Kind in dieser Welt wirkt. Und diese Erkenntnis geht ihnen an Herz und Nieren, bringt sämtliche Wünsche und Sehnsüchte in Bewegung und lässt sie davon singen, berichten und erzählen und schreiben. Diese Erkenntnis ist so groß, dass sie die Welt verändern wird und die Weltzeit einteilen wird in – vor der Geburt des Kindes und nach der Geburt des Kindes. Ohne die niedergeschriebene Vision des Propheten Jesaja wäre das nicht möglich gewesen. Es is seine universale Hoffnung, die der Weihnachtsgeschichte zu ihrer weltbewegenden Bedeutung verholfen hat.

    Wir feiern Weihnachten und erinnern uns an die Geburt des Kindes mit Namen Jesus, der in den Menschen seinerzeit alle Hoffnung weckte und ihnen Gott auf ganz neue Weise nahe brachte.

    Ich glaube, Weihnachten feiern heißt, sich erinnern können und der eigenen Hoffnung trauen. Und das nicht nur im kleinen Rahmen, bezogen auf die eigene Lebensgeschichte, sondern im ganz Großen betrachtet. Weihnachten geht zwar an Herz und Nieren, aber auch weit über den eigenen Horizont hinaus – das ist ja gerade das Wunderbare!

    Wir als Christinnen und Christen stehen in einer jahrtausendealten jüdisch-christlichen Tradition. Die Verheißungen des Ersten Testaments haben ihre Gültigkeit, die Worte des Propheten Jesajas stehen gleichberechtigt neben denen des Evangelisten Lukas. Wir sind daran gewöhnt, beides zusammen zu hören, gleichzeitig. Uns ist ein Kind geboren – Jesus von Nazareth. Doch unsere Glaubenstradition ist größer und reicher und älter. Wir würden dem Zeugnis des Jesaja und der hebräischen Bibel nicht gerecht, wenn wir einen Namen hineinlesen würden, der nicht in diese Zeit gehört. Dafür hat der Jesaja damals eigene Namen gefunden und aufgeschrieben: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Jeder einzelne Name steht dafür, dass Gott da ist. Dass er Wunder wirkt in dieser Welt, dass er stark ist und liebevoll und den Frieden bringt, einen Frieden ohne Ende, für alle Geschöpfe Gottes auf dieser Erde.

    Ich glaube daran, dass das Kind Jesus jene Verheißung in den Menschen seiner Zeit zum Klingen gebracht hat. Und ich glaube, dass jene Geburt – 4000 km entfernt und vor über 2000 Jahren geschehen, immer noch eine Bedeutung hat, die größer ist, als ich es mir vorstellen kann. Die die Kraft dazu hat, aus der Vergangenheit heraus unsere Gegenwart und Zukunft zu verändern.

    Weil das Geschehen auf jenem Feld bei Bethlehem göttlicher Natur war. Gott wirkt in dieser Welt – das haben schon unzählige Männer, Frauen und Kinder vor uns erfahren und davon in ihrer je eigenen Sprache und Form erzählt und gesungen und geschrieben. Gott wirkt in dieser Welt und in ihren Menschen, über Zeiten und Ländergrenzen hinweg. Dabei rührt er Herzen an und befreit, weckt Glauben und Hoffnung und taucht alles und jede und jeden in ein großes Licht, das hell scheint und uns den Weg weist, zu den Hirten, Maria und Josef und dem Kind, dessen Name nichts anderes bedeutet als: Gott mit uns.

    Amen.

    Frohe und gesegnete Weihnachten euch allen!

  • Advent 2018

    Dezember 18th, 2018

    Impressionen aus der Adventszeit:

    Letzte Woche:

    In der Kirche findet ein großes Abendprogramm der Grundschule statt. Kinder huschen vor Beginn der Aufführung nervös und in illustren Kostümen durch das Gemeindehaus. Ich bin in der Küche und sortiere Gewürze in Schälchen (für eine Abendandacht ) und sehe kleine Artistinnen mit silbernen Leggins, eine Prinzessin in mintgrün und mit Diadem und einen Jungen, dem ich (ganz die Pastorin) auf Grund seiner Fellweste sofort einen biblischen Bezug andichte. „Na, spielst du heute Abend etwa einen Hirten?“ „Nö, ich bin ein Löwe!“ In den ersten 20 Minuten der Aufführung kann ich dabei sein und staune über einen vergnügten Kinderchor und die freundlichen Lehrer*innen. Bei einem lässig-groovigen Stück singen und rappen die Kinder über den Weihnachtsmann, der die Geschenke bringt. Es klingt gut und macht Spaß, auch ich wippe mit und muss Lächeln. Und dann plötzlich piekst mich die Frage: warum singen und rappen die vom bekloppten Weihnachtsmann und nicht über Weihnachten und Wunder und Bethlehem? Warum Löwe und nicht Hirte?

    Gerüchteküche:

    Ich erwähnte in diesem Blog schon an anderer Stelle, dass die Stadt dem Land nicht in allem voraus ist. Hier bin ich tatsächlich die erste (von der Gemeinde gewählte) Frau auf der Pfarrstelle. Mich irritiert, dass es sowas im Jahre 2018 überhaupt noch gibt. Und die Gemeinde ist (in Teilen) tatsächlich irritiert von mir. Nicht nur, das manche mich für ein „junges Mädchen“ halten (ich bin 34, und sehe nach fast vier Jahren im Dienst auch wirklich so aus). Neuerdings spricht und wundert man sich angeblich darüber, dass ich Mitglieder des Presbyteriums zur Begrüßung umarme. Mein Vorgänger hat das auch gemacht, aber da war das ok. Bei mir scheint das anders zu sein. Natürlich könnte sich die Gemeinde auch einfach darüber freuen, dass die Leitung sich gut versteht und sich gerne sieht. Aber man kann sich eben auch darüber wundern, dass die Pfarrerin – OMG!- ein freundliches Wesen hat. Als würden sich Herzlichkeit und Professionalität ausschließen! Und dann ist sie auch noch jung und attraktiv und unverheiratet, da muss doch irgendwas komisch sein! So viel Engstirnigkeit hätte ich hier nicht erwartet. Vergleichsweise ist das ein harmloses Gerede (man hat immer irgendwelche absurden Gerüchte), aber das Frauenbild dahinter finde ich richtig fies.

    Gottesdienst

    Am 3. Advent haben die Konfis den Gottesdienst mitgefeiert. Also mit Menschen am Eingang begrüßen und Liederbücher verteilen, Glocken läuten, Kollekte einsammeln, Fürbitten lesen und Lied singen. Einiges an Gewusel und Orga (Habt ihr eure Zettel? Geht ihr beide läuten? Könnt ihr das Keyboard kurz runterräumen? Macht ihr bitte die Liednummern an die Tafeln? Habt ihr alle Liederbücher?) und Aufregung für mich (Kriegen die den Turm wieder abgeschlossen? Wird C. das Wort „destruktiv“ in ihrer Fürbitte lesen können? [konnte sie nachher nicht] Frieren die nicht ohne ihre Jacken? Wer tuschelt denn da hinten?), aber auch Herzerwärmendes.

    Am Tag davor waren wir in einem Seniorenheim und haben da ein paar Lieder und Gedichte zum Besten gegeben. Dort haben die Jungs und Mädels und ich u.a. die Erfahrung gemacht, dass es auch unhöfliche Exemplare innerhalb der älteren Generation gibt, selbst wenn man für die extra und einfach aus Nettigkeit ein tolles Programm aufführt. Eine Dame wollte permanent aufstehen und gehen und wurde von ihrer Sitznachbarin jedes Mal aufgehalten (Bleibst du sitzen! Das macht man nicht! Das ist unhöflich!), eine andere pöbelte bei einem Klavierstück von hinten gut hörbar Ist das öde, kann das Lied mal aufhören? Ich bewundere die Jugendlichen dafür, dass sie den Besuch hinterher trotzdem toll fanden und unbedingt mehr Auftritte dieser Art machen wollten. So kam es, dass die Konfis im Gottesdienst am letzten Sonntag noch einmal den letzten Song (den Hit!) vom Auftritt im Seniorenheim sangen. Last Christmas.

    Ein Mädchen aus der Gruppe konnte das auf Gitarre begleiten, dazu eine am Klavier und zwei mit Rasseln – fast waren sie eine kleine Band und ich war davon natürlich maximal gerührt. Beim Refrain sollte die Gemeinde mitsingen. Ich bin davon ausgegangen, dass jede*r dieses Lied kennt. Wie könnte dem auch nicht so sein? Seit Spätsommer kommt man schließlich nicht mehr drum herum und das seit 1984. Beim Singen warf ich einen Blick in die Gemeinde, Einige wippten und sangen amüsiert mit. Aber manche blickten auch etwas hilflos herum, weil sie den Text nicht kannten. Vereinzelt kannte man das Lied überhaupt nicht (mir war nicht klar, dass das möglich ist), eine Konfirmandin übte nach dem Gottesdienst mit ihrem Vater Melodie und Text: Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day.. Dass dieser eigentlich unerträgliche Ohrwurm mir noch einmal so viel Vergnügen bereiten würde, hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Nun ja, Weihnachten nähert sich unaufhaltsam :).

    Wie man sieht (wenn man eben hinsieht):

    Eine gesegnete Adventszeit euch allen! ❤

  • Kommunikation oder so ähnlich

    November 27th, 2018

    Gelingende Kommunikation ist alles. Anders geht so, geschehen letzen Donnerstag:

    Hallo, ich bin hier die neue Pfarrerin und wollte Herrn K. zum runden Geburtstag gratulieren. – Aha. Was fahren Sie denn?

    [Das ist mir ja lange nicht passiert, ich muss etwas lachen und antworte dem Typ mit der Mütze:]

    Ehem, Pfarrerin, nicht Fahrerin. – Ach so. – Ich fahre mehr so mit dem Boot, das sich Gemei… – Kommen Sie mal mit, da müssen Sie hier nochmal raus und dann um die Ecke, der wohnt hier nicht.

    [Auf dem Weg nach draußen treffen wir auf die Schwiegertochter des Jubilars. Also das ganze Spiel nochmal:]

    Ich komme von der Kirchengemeinde, guten Tag, Sara Hitschmock, die Pfarrerin. Ich suche Herrn K. und will ihm zum 80. gratulieren. – Der ist verreist und kommt erst am Wochenende wieder.

    Ok, schade. Könnten Sie denn für Herrn. K. eine Kleinigkeit entgegen nehmen? Das wäre schön.

    [Die Frau nimmt Karte und Wein entgegen und schaut mich freundlich-überrascht an:] Und wer sind Sie nochmal? – Na, die Pfarrerin. [ungläubiger Blick des Gegenübers, dann:] Ach Sie sind der Nachfolger von Pf. Storch?

    Beim Wort „Nachfolger“ zucke ich kurz zusammen und will reflexhaft „Nachfolgerin “ erwidern, lasse es dann aber. Trotz Strickstirnband und buntbestickten Fäustlingen und der dicken Winterjacke sehe ich wirklich nicht aus wie ein Mann. Vielleicht auch nicht unbedingt so, wie die Frau sich eine Pfarrerin vorstellen würde. Aber die Berufsbekleidung eignet sich nun mal nicht sonderlich gut zum Radfahren. Wie auch immer, offensichtlich hat die Stadt dem Dorf in Sachen gendergerechter Sprache wenig voraus. Vielleicht bin ich hier, so wie vorher auf dem Land auch „Frau Pastor“.

    Amüsante Kommunikation vor und nach einer Beisetzung heute:

    [in der Trauerhalle, davor]

    Organist und Friedhofsangestellte begrüßen sich neben dem Sarg hoch erfreut mit „Schatzi“ und „Schnuckelchen“. Auf Schatzis Harmonium steht ein eingestaubtes, etwas schiefes CD-Regal. Daneben Duftspray Sorte „Fresien“. Schatzi bekommt Instruktionen für die Musik, die er nach der Ansprache mit der kleinen Anlage abspielen soll. Er spricht von Kassetten, es sind Cds. Ich mag Schatzi. Schatzi (der auf den Friedhöfen im Bezirk ganz schön rumkommt) erzählt, dass er hier früher oft Dienst hatte, aber der Friedhof jetzt nicht mehr so gut läuft, anderswo ist billiger.

    [vor der Trauerhalle]

    Die Sargträger stehen bereit, ich bespreche mit den Männern die letzten Details (wo es langgeht, wann der Sarg runtergelassen werden soll..) , dabei fallen mir die Schiebermützen auf. Schicke Mützen haben Sie da! – Ja, finden wir auch. – Kenne ich gar nicht so mit dem Stil, aber sieht ja ganz feierlich aus – Es gibt sogar Sargträger, die haben richtige Zylinder. – Echt? – Ja, und einmal hab ich einen gesehen, der trug Melone. Wie früher, ganz verrückt. – Da könnte man glatt mal ne Ausstellung drüber machen, Mode auf Friedhöfen im Laufe der Zeit..

    [neben dem Grab, nach der Beisetzung]

    Unter der Trauergemeinde war auch ein Ehepaar, das mir wegen seiner dicken Fellmützen (hätten auch für -20 Grad gepasst) gleich zu Beginn aufgefallen ist. Außerdem begrüßte er mich mit einem ernsten „Guten Tag, Schwester.“ Weird. Hinterher bedankt er sich dann für die schöne Liturgie und zeigt besorgt auf meinen Kopf: Aber Sie brauchen für das nächste Mal auf jeden Fall eine Kopfbedeckung.

    [in der Trauerhalle, nach der Beisetzung]

    Fröstelnd wechsele ich Talar gegen Wintermantel. Ich bin alleine in der Trauerhalle und schaue mich etwas um. Die rosafarbenen Fresien, die auf den Stufen stehen sehen echt aus, sind es aber nicht. Die Friedhofsmitarbeiterin (=Schnuckelchen) kommt rein und dreht die Heizung aus. Sie erzählt mir, dass sie hier alles macht, von Dekoration der Trauerhalle über Urnentragen und Gartenarbeit. Als wir uns nach einer Weile verabschieden bin ich schon ihre Gute. Das finde ich in Ordnung, vielleicht bin ich jetzt ja öfter hier.

    Eben fällt mir auf, dass ich weder von Schatzi noch von Schnuckelchen den echten Namen weiß. Verstanden haben wir uns auch so.

  • Aus gegebenem Anlass V

    November 9th, 2018

    – Zu einer Gedenkveranstaltung heute Abend –

    80 Jahre ist es her, dass in diesem, unserem Land, auf diesem Grund und Boden ein zum Himmel schreiendes Unrecht neue Gestalt annahm. 

    Die Novemberpogrome vom 9. bis zum 13. November 1938 markieren den Beginn der offenen, systematischen Verfolgung jüdischer Bürgerinnen und Bürger. Die jahrelangen Feinbildinszenierungen der nationalsozialistischen Propaganda entladen sich entfesselt und ungebremst im von SA und NSDAP angeordneten „Volkszorn“.

    Auf dem Land und in den Städten brennen deutschlandweit 1400 Synagogen, 7000 jüdische Geschäfte werden geplündert und zerstört, 1500 Menschen ermordet, weitere 30 000 in Konzentrationslager verschleppt. 

    Es ficht mich an, diese nüchtern verfassten Zahlen zu gebrauchen, um das Unglück irgendwie begreifen zu können. Jemand muss sie gesehen und gezählt und aufgeschrieben haben. Hinter jeder Zahl ein Mensch, ein Schicksal, ein Name, mit Eltern, vielleicht Geschwistern, mit Freundinnen und Freunden, Bekannten, Nachbarn, Mitarbeitenden. Ein ganzes, bewegtes und pulsierendes Leben. 

    Diese Zahlen bestürzen mich. Umso mehr, weil ich weiß, dass die Opferzahlen in den Jahren bis 1945 das Vorstellbare noch viel weiter übersteigen werden. Die Shoa wird über sechs Millionen Jüdinnen und Juden das Leben kosten. Sechs Millionen. 

    Der Novemberterror vor 80 Jahren ist ein Auftakt, die Marschrichtung offenbart sich in aller Brutalität und Gleichgültigkeit. 

    Ich kann nicht umhin, immer wieder zu versuchen mir vorzustellen, wie es war. Auf Straßen und Wegen vor in Flammen lodernden Gotteshäusern zu stehen, den Rauch nach oben aufsteigen zu sehen, inmitten von Qualm und Gestank. Fensterscheiben zerspringen zu hören, über Scherben zu gehen, das Geräusch von Stiefeln auf Pflastern, in Hausfluren und Wohnungen, berstendes Holz, einfallende Häuser. Dazu  laute Stimmen von Menschen, Tätern und Opfern, gebellte Befehle der Soldaten, Schreie voller Angst und Entsetzen, Schüsse, Schläge. Es muss ein ohrenbetäubender Lärm gewesen sein, zum Himmel schreiendes Unrecht. 

    Mich bedrückt schwer, dass ich nicht sagen kann, wo ich vor 80 Jahren in alledem gestanden hätte. Wer weiß, Gutes zu tun, und tuts nicht, dem ist`s Sünde, schreibt Jakobus. Die Pogrome fanden vor den Augen unzähliger Bürgerinnen und Bürger statt, die nichts dagegen unternommen haben. Die die Täter noch angefeuert haben oder selbst gezündelt und geplündert haben. Ein Volksfest. Hätte ich mitgefeiert und lachend neben zerstörten Geschäften für ein Foto posiert? Hätte ich dabei auch geglaubt, dass es diesen Männern, Frauen und Kindern schon recht geschieht? Wäre ich erbarmungslos gewesen und ohne Mitleid? Hätte ich mich schuldig gemacht, wäre der Sünde anheim gefallen? 

    Die Zahlen verraten es mir nicht und auch nicht die Vorstellungen, die ich mir in meinem begrenzten Horizont von jenem Grauen mache. 

    Die Zahlen und Bilder und Klänge in meinem Kopf hinterfragen stattdessen schmerzlich meine tiefsten Überzeugungen. Wie konnte das geschehen? Zu was ist ein Mensch fähig? Und wo, um Himmels Willen, war Gott in dieser Zeit? 

    Die Leiden der Tausenden und Abertausenden, der Millionen von Menschen erfüllen mich mit einer fassungslosen Ohnmacht. 

    Heute, an diesem Tag gibt es keine frohe Botschaft. Die Worte wollen nicht kommen, denn hier ist nicht ihr Platz. Das Leid ist zu groß für jeden Trost. Unsagbar, übermächtig. 

    Einzig das Gedenken möge Raum haben. Das Gedenken eines zum Himmel schreienden Unrechts, das in Tod und Vernichtung geführt hat. Von Zerstörung und Lärm und Schreien und Schlägen und Schüssen, dem Rattern von Waggons und dem lauten Zuschlagen von Türen,  hin zu Totenstille. 

    — Stille —-

  • Two truths, one lie

    November 3rd, 2018

    Letztes Jahr um diese Zeit, als ich gerade im fernen Süden unterwegs war, lernte ich dieses schöne Spiel kennen. Es eignet sich gut für kleine Gruppen zum ersten Kennenlernen, aber auch wenn man schon länger miteinander zu tun hat. Weil ich es auf Reisen so vergnüglich fand, hab ich es zurück in der Gemeinde sofort mit den Konfis und dann auch mit den Religions-Schüler*innen gespielt.

    Meine Katze kotzt, wenn sie sich einsam fühlt.

    Ich mag Basteln.

    Mein Onkel ist ein Hippie.

    Die Kinder sind echt nicht drauf gekommen. Sie tippten mehrheitlich darauf, dass es den Hippie-Onkel in meinem Leben nicht wirklich gibt. Als ich dann erzählte, dass ich tatsächlich nicht gerne bastele, reagierten sie fassungslos. Dabei hätten sie es durchaus früher bemerken können, vor allem das eine Mal, als ich mit ihnen in der Adventszeit versucht habe, Sterne zu basteln.

    Vor ein paar Jahren (als ich zu Weihnachten noch zuhause bei der Familie mit Hippie-Onkel war) habe ich mir die Festtage mal damit versaut, unbedingt einen Fröbelstern basteln zu wollen. Das ulkige Rumgeknicke und Durchgeschiebe und Gefalze – stun-den-lang, ätzend. Das bunte Papier sah nach einer Weile ähnlich mitgenommen aus wie mein vor Anstrengung und Konzentration verzerrtes Gesicht. Dann fiel mir wieder ein, dass ich Basteln schon im Kindergarten richtig furchtbar fand und dass es Gründe hat, warum ich sonst nie zu Schere, Kleber und Co. greife. Ich mag es einfach nicht, weil es mir keinen Spaß macht, weil ich es überhaupt nicht kann. Meine Mutter konnte mich an jenem Weihnachtsfest auch nicht trösten. Dem Hippie-Onkel erzählte ich nichts. Wenn es wenigstens ein vorzeigbares Ergebnis meiner Bemühungen gegeben hätte, aber nein. Es war ein Trauerspiel mit Nicht-Stern. Zum Glück musste der niemandem den Weg irgendwohin zeigen, sonst wäre Weihnachten in einem noch viel größerem Umfang deprimierend gewesen.

    Mit den Jungs und Mädels in der Schule bin ich deshalb auf Nummer sicher gegangen und habe dort Butterbrottütensterne (das ist mal ein Wort!) gebastelt und die sind selbst für mich ein realistisch erreichbares Ziel. Brauchst du Tüten und Kleber und dann schnippelst du mit der Schere ein bisschen hier und da und entfaltest die zusammengeklebten Teile und voilà: ein bezaubernder Stern in 3D zum irgendwo Aufhängen. Ein paar Mädchen wollten an jenem Tag aber unbedingt Fröbelsterne machen. Ich ahnte Böses und fragte nach: Und ihr sagt, ihr kriegt das alleine hin? – Ja. Wir haben das letzte Woche mit Frau F. gemacht. – Na gut, aber ich kann euch nicht helfen, wenn etwas nicht klappt. Wisst ihr Bescheid.. – Ok, Frau Hitchschmock – Natürlich haben sie es nicht hinbekommen, an die langen Gesichter kann ich mich noch gut erinnern. Ihr Frust mit den fiesen Fröbelsternen kam mir selbst nur zu bekannt vor, meine Trostversuche liefen ins Leere.

    Rahel bastelt im Gegensatz zu mir richtig gerne. Vor allem mit Pappe. Aber sie kann auch Stempel selber machen und Nähen und neuerdings auch noch Origami. Übermütig versuchte ich, es ihr bei einem Besuch gleichzutun. Mit so hübschem, buntem, wahrscheinlich super teurem Papier, das sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Mir ist immer noch peinlich, dass ich selbst bei der für Kinder konzipierten Riesenorigamischwalbe bei quasi jedem Handgriff auf Rahels Hilfe angewiesen war. Gnah.

    Rahel jedenfalls war nicht da, als ich selbstständig und also ganz ohne ihre Hilfe zum Basteln genötigt wurde. Hier gibt es eine Kita in der Gemeinde und dort halte ich ab sofort regelmäßig Andachten. Der erste Termin war ausgerechnet der 31. Oktober, Reformationstag also. Irgendwas mit Luther musste also her und ich entschied mich für ein bisschen nett aufgemachte Geschichte (zum Glück hab ich den Playmobil-Luther hier wiedergefunden) und Gedanken zur Lutherrose. Dazu habe ich mich selbst übertroffen und eine einzeln zusammensetzbare, große Lutherrose gebastelt. Mit bunten Tüchern (gelb und blau) und Pappe und Klebestreifen und einem rot angemalten Pappherz und einem schwarz angemalten Pappkreuz und einem weißen Tuch, dass dann live zur Rose mit fünf Blättern gelegt kann.

    Die Kinder in der Kita sind schlau. Sie wussten, dass am 31. Oktober Reformation gefeiert wird und die kleine schwarze Playmobilfigur kannten sie auch schon mit Namen. Gespannt verfolgten sie, wie ich erst den gelben Kreis in die (natürlich) gestaltete Mitte legte, dann darauf einen kleineren blauen legte und dann mit dem weißen Tuch etwas formte.

    Ich: So, und das Weiße ist jetzt eine Rose mit fünf Blättern. Kind neben mir: – Sieht aber aus wie ein Stern, mit fünf Zacken. – Ehm, hm, ja, aber es soll eigentlich eine Rose sein. Es heißt ja auch Lutherrose. Stellt euch das einfach als Rose vor. Für was steht denn das Weiß der Rose, was glaubt ihr?

    Manchmal hilft auch Ablenkung. Haben sie zum Glück mit sich machen lassen. Trotzdem: das sind clevere Kinder da. Bestimmt sind die auch alle richtig gut im Basteln. Beim Ausmalen der mitgebrachten Lutherrosen waren sie jedenfalls entzückend kreativ. Ein Kind hat seine Rose ganz freimütig in kunterbunten Regenbogenfarben ausgemalt. Hätte dem Reformator bestimmt auch gefallen.

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