ploetzlichpfarrerin

  • Aus gegebenem Anlass IX (Predigt zum Blogeintrag „Nach der Predigt“)

    Oktober 6th, 2019

    Es ist genau eine Woche her, dass wir Erntedank zusammen mit unserer Kita gefeiert haben. Der Altar war geschmückt mit Brot und Weintrauben. Auf den Stufen zum Altar dufteten Kräuter, Obst und und Gemüse um die Wette – ein Fest für die Sinne. Dem Charme der kleinen Kitakinder, die den Gottesdienst mit gestaltet haben, konnte sich wohl kaum jemand entziehen. Die Kirche war gefüllt mit trubelig buntem Leben und Fröhlichkeit – so ließ es sich gut und leicht danken.

    Die Kinder, gingen einem schon ganz schön ans Herz, mir ging es jedenfalls so. Ich glaube, das ist gut so. Und ich glaube, das verweist noch auf etwas anderes, das neben dem Danken, genauso mit dem Erntefest zu tun hat.

    Ich frage mich, werden diese Jungen und Mädchen in zehn Jahren immer noch vergnügt in der Kirche mit uns Erntedank feiern? Oder werden sie uns entrüstend und wütend vorhalten, dass wir ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt haben? Wir wissen nicht, ob die Fridays for future – Bewegung in zehn Jahren noch von Bedeutung sein wird. Der Klimawandel und seine Folgen jedenfalls werden uns sicherlich in Atem halten. Und dass Kinder und Heranwachsende ihrem Ärger und ihrer Wut in irgendeiner Form Luft machen werden, halte ich für wahrscheinlich.

    Haben Sie die Aufnahme von Greta Thunbergs Rede bei den Vereinten Nationen gesehen? How dare you – Was fällt euch ein?! Da sitzt ein 16jähriges Mädchen mit bebender Stimme und einer mühevoll beherrschten Wut und appelliert an die Weltöffentlichkeit – dieses Kind, diese Jugendliche geht mir auch ans Herz, wenn auch auf andere Weise als unsere Kitakinder. Ihr unnachgiebiger Ärger, ihre Standhaftigkeit – sie befremdet und beunruhigt und stört. Große Vergleiche werden in den Medien aufgetan. Ist sie die neue Jeanne d´Arc? Oder der neue Martin Luther, die da steht und nicht anders kann? An Greta kommt im Moment kaum jemand ungerührt vorbei – von Begeisterung und Zustimmung bis hin zu abgrundtiefem Hass reichen die Reaktionen. Letztere wirken zusätzlich beunruhigend und verstörend. In was für einer Welt leben wir eigentlich, in der 16jährige Mädchen für ihr Engagement für die Umwelt derart bedroht und beschimpft werden?

    Für mich hat Greta Thunberg etwas Prophetisches an sich. Als stünde sie da und könne nicht anders. Prophetinnen und Propheten hatten zur Zeit als Könige Israel und Juda regierten, vor allem politische Funktion. Sie hielten den Machthabern und dem Volk den Spiegel vor Augen, deuteten das Geschehen und warnten vor Fehlentscheidungen. Besonders harsch kritisierten sie da, wo Unschuldige leiden und Arme ausgenutzt wurden. Der Prophet des Ersten Testaments ist immer Anwalt der Schwachen und Unterdrückten. Wie auch der Gott, der ihn oder sie dazu beauftragt und dessen Botschaften der Prophet mit Worten und seiner ganzen Existenz verkündigt. Zum Erntedanktag 2.0 in diesem Jahr/für Erwachsene/ohne Kita/im zweiten Anlauf hören wir auf Worte des Propheten Jesaja:

    Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

    Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

    Diese prophetischen Worte entstanden im 6. Jahrhundert vor Christus. Nach dem babylonischen Exil kehrt das Volk heim. Endlich kommen sie zurück in die heilige Stadt Jerusalem, zurück zum Tempel und finden ihre Heimat, nach der sie sich so lange gesehnt hatten, in Schutt und Asche. Die Heimgekehrten sehen sich nun mit schmerzlichen Fragen konfrontiert. Wie passt dieser Trümmerhaufen zusammen mit dem zugesagten Heil, auf das sie im Exil alle hingehofft hatten? Was bedeutet das für die Zukunft Jerusalems und des neu aufzubauenden Tempels?

    Der Prophet Jesaja findet in den Worten unseres Predigttextes eine Deutung, eine unbequeme Deutung.

    Zunächst kritisiert er mahnend die vorherrschende Fastenpraxis der Männer und Frauen und ihre Unzufriedenheit über die ausbleibende Reaktion Gottes. Eine wahrhaft gottgefällige Fastenpraxis habe weniger mit Selbstkasteiung und Selbsterniedrigung vor Gott zu tun, als mit der Aufhebung unrechtmäßiger hierarchischer Verhältnisse. Es ist nicht mit innerem und äußeren Fasten getan, das Verhalten des Volkes muss sich grundlegend ändern. Jesaja geht es um Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Ihm geht es darum, „den Hungrigen dein Herz finden zu lassen“. Also führt Jesaja ganz konkret auf, wo Hilfe nötig ist: Brot für die Hungrigen, ein Dach für die Obdachlosen, Kleidung für Nackte.

    Und dann lässt Jesaja seine Forderungen nicht in eine typisch prophetische Gerichtsansage münden, sondern in etwas Stärkeres.

    Auf diesem Verhalten wird Segen ruhen, verheißt Jesaja. Ein Segen, der Leben schafft und die Herrlichkeit Gottes anschaulich werden lässt. Wie das Licht der Morgenröte, wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Wie die heilvolle Aussicht auf den Wiederaufbau des Tempels.

    Nicht Angst vor Gottes Gericht soll der Antrieb sein, sondern Vertrauen auf die Gültigkeit seiner Verheißungen.

    Deshalb ist es wichtig, den Text im Kontext zu betrachten. Die ethischen Forderungen des Jesajas – „wenn du einen nackt siehst, kleide ihn“ sind Antworten auf Gottes Versprechen am Ende des 57. Kapitels. Da verheißt Gott dem Volk Heilung und Trost, Frieden in der Ferne und in der Nähe. Das Heil ist schon verheißen, es geht den Taten, die die Welt verändern sollen, voran. Dieses versprochene Heil spiegelt sich dann, wenn Menschen aufeinander achtgeben, miteinander teilen, den Nächsten in den Blick nehmen.

    Wenn wir teilen wird Gottes alte Verheißung von Frieden und Heil heute erlebbar. Wir können sie so in die Gegenwart ziehen. Es liegt an uns, ob sie auch für die Zukunft von Bedeutung sein soll.

    Unsere Heilige Schrift spricht eine deutliche Sprache. Unser Gott wendet sich stets an die Armen, Benachteiligten und Schwachen. Es geht um Heilung, Frieden und Gerechtigkeit – für alle Menschen, für die gesamte Schöpfung.

    An unseren Gott und seine befreiende Botschaft glauben heißt, dass wir nicht bei Dankbarkeit stehen bleiben können. Unser Glaube ist nicht bequem. Er hinterfragt und durchleuchtet und schleudert uns hinaus in eine Welt, die von Egoismus und Machtgier geprägt ist. Eine Welt, in der Kinder uns auf die umwälzenden Gefahren aufmerksam machen, auf die wir zusteuern. Kinder, die Angst um ihre Zukunft haben. Kinder, die in diesen Wochen und Monaten Wege in unsere Herzen suchen.

    Glauben heißt auch, Gott antworten. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Wer kann denn einen Unterschied in dieser Welt machen, wenn nicht wir? Und was soll sein, wenn unsere Kinder uns eines Tages fragen?

    In all dem gibt es etwas Wunderbares:

    Wir handeln aus Hoffnung heraus. Hoffnung darauf, dass Gottes Verheißung auf Frieden und Heil und Gerechtigkeit uns heute und morgen auch noch gelten wird. Die Zukunft ist sein Land. Er kommt uns entgegen. Uns und den kleinen und größeren Kindern, den fröhlichen und ängstlichen und auch den wütenden Kindern.

    Lasst uns leben im Licht seiner Verheißung, lasst uns Wandeln im Licht seiner Verheißung und unsere Herzen für diese Kinder öffnen. Und dann staunen, was alles möglich sein wird.

    Amen

  • Nach der Predigt

    Oktober 6th, 2019

    Sonntag, 06. Oktober 2019 gegen 11 Uhr:

    Eine kleine Gruppe findet sich zum Kaffee nach dem Gottesdienst zusammen. Dabei sind Mitglieder des Presbyteriums und Partnerinnen, zwei Seniorinnen und ein Pfarrehepaar (im Ruhestand). Wir wärmen uns auf und reden über die nächsten Konzerte und Gemeindeveranstaltungen. Ich bin seit einer Woche ziemlich erkältet und froh, dass ich während des Dienstes meine Stimme nicht verloren habe und freue mich auf eine warme Suppe zuhause. Unvermittelt geht es los.

    Einer: Also,um nochmal auf deine Predigt zurück zu kommen, wegen Greta Thunberg. Ich finde es völlig übertrieben, wie sie dargestellt wird. So als Heilige Schwedens! Das ist doch total überzogen.

    Eine: Sie hat doch auch dieses Buch geschrieben mit dem Titel „Ich will, dass ihr Panik habt.“

    Eine: Wer kann schon sagen, ob nicht ihre Eltern eigentlich dahinter stecken?

    Eine: Hat sie nicht auch diese Krankheit? Diese Form von Autismus“

    Ich: Sie hat Asperger und geht damit auch offen um. Aber lieber „Einer“, dir ist schon aufgefallen, dass ich sie nicht als Heilige bezeichnet habe, oder? Mr ging es in der Predigt um etwas anderes.

    Er: Mich stört einfach, dass sie so allgemeine Aussagen macht und solche Vorwürfe in den Raum stellt. Sie hat doch gar kein politisches Konzept.

    Ich: Sie ist 16. Und sollten nicht eher wir gemeinsam mit der Politik so ein Konzept erarbeiten? Das kann doch nicht die Aufgabe der Kinder sein!

    Eine zischt: Ich hasse dieses Mädchen, sie ist einfach völlig unmöglich (verschwindet dann in der Küche um Abzuwaschen).

    Eine: Und der Klimawandel, wer weiß, ob der nicht sowieso gekommen wäre, nur vielleicht nicht so schnell?

    Einer: Liebe Eine, dass der Klimewandel menschenverschuldet ist, ist ja wohl eine Tatsache. Aber wir brauchen ein politisches Konzept um etwas tun zu können.

    ………………………………………………………………………………………………………………………………………………

    Etwas später auf dem Heimweg. Das Pfarrehepaar und ich reden noch einmal über den Gottesdienst, die Gesprächsrunde und meine Predigt. Ich bin mitgenommen und durchgerüttelt von den Reaktionen. In der Gemeinde gibt es auch Menschen, die ganz anders denken, doch die waren heute nicht da.

    Ich: Mich erschrecken solche Reaktionen wie eben gerade. Puh.

    Er: Aber es ist doch gut, wenn du so sprichst und predigst. Du willst ja gerade diese Leute erreichen.

    Ich: Es ist schon ein deutliches Anecken. Warum haben die sich an dem Greta-Thema so aufgezogen? Darum ging es doch gar nicht vordergründig.

    Sie: Wolltest du nicht sagen, dass wir uns für die Kinder für die Zukunft einsetzen müssen?

    Ich: Ja genau.

    Sie: Es geht um Verantwortung und Teilen. Du meintest ja auch, Greta hat etwas Prophetisches an sich. Ich habe darüber nachgedacht und glaube, das stimmt auch. Prophetinnn und Propheten im Alten Testament haben ja auch laut gesprochen und Aufmerksamkeit bekommen und haben Anstoß erregt.

    Er: Irgendwas war heute auch anders mit deiner Predigt als sonst. Sonst kann ich dir so gut folgen, es ist bilderreich. Aber den Mittelteil habe ich überhaupt nicht richtig wahrgenommen. Und am Ende war es dann für mich auch kurz. Hast du es vielleicht zu stark durchdacht?

    Ich (zunehmend bedrückt): Hm, ich hatte ein ganz anderes Gefühl beim Schreiben…

    Sie: Aber die Lieder waren sehr schön! Und sie haben gut gepasst zur Predigt und dem Thema des Gottesdienstes.

  • Spiele und andere Katastrophen

    September 14th, 2019

    Ein Spiel, das ich vor Jahren mal aus Taizé mit nach Hause gebracht habe, geht so:

    Eine*r aus der Gruppe verlässt den Raum. In der Zwischenzeit beschließen die anderen eine Person aus dem Kreis der Gruppe, die „dran“ sein soll. Der Mensch von draußen wird wieder reingeholt und hat nun die Aufgabe herauszufinden, wen die Gruppe ausgewählt hat. Das macht er oder sie über Fragen wie „Wenn die Person eine Farbe wäre, welche Farbe hätte sie…?“ oder „Wenn die Person ein Land wäre, welches wäre sie..?“. Hier geht es also um Assoziation und auch um Selbst – und Fremdwahrnehmung.

    Eigentlich bin ich ein ausgemachter Spielemuffel. Kaum eine*r aus meinem Freundeskreis würde auf die Idee kommen, mich auf einen Spieleabend mit Risiko oder die Siedler von Catan einzuladen. Grau-en-voll. Mir ist klar, dass ich dabei auch auf Geselligkeit verzichte. Wahrscheinlich werde ich niemals Teil eines Doppelkopf-Teams oder einer regelmäßigen Pokerrunde. Manche haben vielleicht etwas Mitleid mit mir. Ich bin zufrieden, wenn ich liebe Menschen, etwas zum Essen und Trinken und im Idealfall noch Musik da habe. Dass ich auf zu vielen Geburtstagen Werwölfe im Düsterwald spielen musste, erwähnte ich hier schon an anderer Stelle. Betrüblich ist: die Konfis lieben es. Obwohl sie nicht einmal besonders gut darin sind. Sie denken sich dann irgendwelche abstrusen Geschichten aus („Ich hab doch nachts Licht bei dir im Haus gesehen!“ „Du bist doch bei Mondlicht durchs Dorf gelaufen!“), diskutieren nicht lange (war es nicht das, was angeblich Spaß machen soll?), aber lautstark und bringen ratz fatz irgendwelche unbescholtenen Bürger*innen um, die nix getan haben. Die Konfis haben trotzdem ihre Freude an den Werwölfen. Das freut mich dann auch. Ein bisschen.

    Gestern hatten wir Mini-JG. Weil wir uns nur einmal im Monat zur Konfizeit sehen, verabreden wir uns zusätzlich an einem Abend, an dem die Jugendlich einfach so Zeit miteinander verbringen. Sprich: Werwölfe. Seufz. Um der Misere einmal zu entkommen, wollte ich gestern mal einen Film gucken (Sister Act), die Vorfreude war groß. Ich hatte alles gut vorbereitet, Film gekauft und auf dem Laptop ausprobiert, Technik im Gemeindesaal gecheckt (Leinwand, Beamer, Ton – einwandfrei) und pünktlich zum Vorführbeginn tauchte der garstige Fehler 7279 auf und machte ein Abspielen unmöglich. Während ich mit verschiedenen Geräten und Kontaktieren mit dem Kundenservice bei mir im Büro hektisch und teilweise böse fluchend versuchte, den Film doch noch zum Laufen zu bekommen, spielte die Jugend Werwölfe. Sie hatten Spaß, man hörte es laut Lachen und Schreien (wie können die eigentlich so laut sein?). Als ich wieder in den Saal kam, lag ein Glas in Scherben darnieder und Madeleine stand hilflos daneben. Sara, was soll ich denn jetzt machen?

    Wenige Minuten später (Madeleine hat Kehrblech und Handfeger schließlich gefunden und auch erfolgreich benutzt) setze ich mich leicht mürrisch (Technik ist die neue Theodizee, oder wie war das?!) in den Kreis. Ok Leute, mit Film wird es nix, tut mir leid. Lasst uns dann doch einfach was spielen. Allgemeine Zustimmung. Ich schnappe die dunkle Box mit den Karten und mische sie ohne große Lust. Also, *seufz* Werwölfe? Lena meldet sich zu Wort, in der Schule müsse sie es so oft spielen, sie mag es einfach nicht mehr und will dann einfach zuhören. Ich verstehe Lena. Ein bisschen leid tut sie mir aber auch (so fühlt sich das also an). Dann mache ich einen Gegenvorschlag. Ehm, hm, gut, dann spielen wir das Psychospiel. Seid ihr dabei? Nicht alle kennen das Spiel, also erkläre ich noch einmal die Regeln (siehe oben). Alle spielen mit, auch Lena, ich bin zufrieden.

    Die ersten zwei Runden sucht die Gruppe eine*n Konfi aus. So ganz raus haben sie es mit dem Assoziieren noch nicht. Die Fragenden finden die gesuchte Person immer erst im dritten oder vierten Anlauf. Als Lena schließlich vor die Tür geht, wählt die Gruppe mich als gesuchte Person aus. Das kann ja lustig werden, denke ich und hole Lena wieder rein. Im Kreis stellt sie folgende Fragen und erhält folgende Antworten: Wenn die Person eine Farbe wäre – blau [die Frage ging an mich]; wenn sie ein Tier wäre – Giraffe; wenn sie ein Kleidungsstück wäre – Jeans [ich trage zufällig Jeans], wenn sie ein Schulfach wäre – Musik, gehen auch zwei Fächer? – Ja! – Dann: Musik und Religion [ernsthaft?]; wenn sie ein Gebäude wäre – Kirche [Leute, wie einfach kann man es machen?], wenn sie ein Essen wäre – Salat [hm]; wenn sie ein Beruf wäre – Nonne! Ich starre Tom finster an. Nonne??! Lena blickt am Ende der Fragerunde nun aufmerksam alle einmal an, lächelt wissend und sagt: Die gesuchte Person ist…

    Mathilde! Mathilde macht große Augen. Mir entgleiten kurz die Gesichtszüge,dann rufe ich (plötzlich geht Lautstärke ganz leicht) Nein!! Wer könnte es denn NOCH sein? Lena scheint tatsächlich raten zu müssen. Ich kann es nicht ganz fassen. Schließlich kommt sie doch noch -etwas verschämt – auf mich. Manchmal ist aber auch kompliziert und man sieht den (Düster-)Wald vor lauter Pfarrerinnen nicht.

    Eben kommt mir der Gedanke, dass ich Tom vielleicht grundlos mit finsterem Blick gestraft habe. Whoopi Goldberg ist ja auch zeitweise Nonne. Und rockt extrem. Außerdem kenne ich echte Nonnen, die auch ohne Gospelmusik auf ihre Weise rocken. Bei Assoziationen gibt es kein richtig oder falsch, das behaupte ich jedenfalls immer großspurig. Also nehme ich jetzt meinen extrem langen Hals und stakse gemächlich Richtung Wasserloch. Habt ein schönes Wochenende!

  • Steigende Weißheit

    September 1st, 2019

    Unlängst wurde ich 35 Jahre alt. Ein großartiges Alter, finde ich (bisher). Leute die behaupten, sie wollten unbedingt noch einmal 18 oder Anfang 20 oder sonstwie jünger sein, verstehe ich nicht. Ich will auf kein einziges Jahr Lebenserfahrung verzichten. Trotzdem fallen mir ein paar Dinge neuerdings auf:

    Vor zwei Wochen hatte ich einen vorerst letzten (Vertretungs-)Dienst in meiner ersten Gemeinde, ab sofort ist dort ein neuer Pfarrer im Dienst. An einem herrlichen Sommertag durfte ich ein Paar trauen, Er Mitte 70, Sie Mitte 60. Es war mindestens der zweite Frühling, aber in Sachen Romantik und Verliebtheit konnten die beiden mit jedem jungen Paar mithalten. Weißes Brautkleid, rote Rosen, Rührung und Liebesschwüre – fast filmreif. Auf dem Rückweg nach Hause fuhr ich bei meinem Bestatter und seiner Frau vorbei. Kaffee und Pflaumenkuchen und ein Update über die neuesten Entwicklungen in der Gemeinde. Der neue Pfarrer kommt ganz gut an, ich freue mich für ihn und die Gemeinde und habe trotzdem etwas Herzschmerz, die erste Liebe vergisst man eben nicht. Während wir auf der Terrasse zusammen sitzen und erzählen schaut Armins Angetraute auf meine Haare und stellt fest: Deine Gemeinde lässt dir ja auch ordentlich graue Haare wachsen, was? Sind die nicht nett zu dir? – Doch, schon, aber…*Hmpft*.

    Kita-Andacht am Dienstag. Ich erzähle den Kindern zu Beginn, dass ich heute etwas Tolles mitgebracht habe. Kind 1 stellt begeistert fest: Du hast uns Schuhe mitgebracht! – Ehm, nein. Die Checkerlein erkennen den Schuhkarton, aber noch wissen sie nicht, was da alles drin ist: Elia und ein Haufen Baalspropheten, lauter Stöckchen für ein Lagerfeuer, Feuer in Papierschnipselform, bunte Tücher (eines für Wasser, eines für Gott), Isebel, Wüstensand (Katzenstreu), ein Engel, trockenes Brot (seit zwei Jahren befindlich in diesem Schuhkarton), ein Krug mit Wasser, eine Höhle auf einem Berg (malerische und bastlerische Meisterleistung I), eine Feuerbrunst (malerische und bastlerische Meisterleistung II) und ein klingendes Herz. Der Schuhkarton ist eine Erzählkiste – yay! Die Kinder lauschen nun gespannt der Geschichte von Elia. Sie schauen genau, wann ich welche Figur in die Mitte lege und was mit ihr passiert. Und sie spitzen ihre Ohren als Gott sich am Ende nicht im Sturm und nicht im Erdbeben, sondern im sanften Säuseln (=das klingende Herz) zeigt. Nach der Erzählung frage ich die Kinder, wo sie gerne innerhalb der Geschichte wären. Ein Kind zieht es in die Höhle, ein anderes will bei Elia und dem sanften Säuseln sein. Einige wollen auch vom Engel mit Brot und Wasser gestärkt werden. Dürfen wir das Brot essen? – Was? NEIN, DAS… – *knurpsknurps* (Kind 3 zu meiner Linken hat es irgendwie geschafft, von dem steinharten Brot etwas abzubeißen) – Das ist doch total hart! Das kannst du doch nicht.. – Währenddessen macht es *knurpsknurps* auch von rechts (was ist nur los mit diesen Kindern?!) und ich packe die Reste hektisch weg und hoffe auf eine unauffällige Verdauung der schweren Kost. Beim Singen von „Gott hält die ganze Welt in der Hand“ mit Bewegungen fällt mir auf, dass ich echt schnell aus der Puste gerate. Gott hält die Großen (=sich lang machen) und die Kleinen (=sich klein machen) in der Hand (Hände vor dem Körper wiegen). Die Wiederholung der Strophe bringt mich an physische Grenzen. Gut, dass ich jetzt Mitglied in einem Sportverein bin.

    Beim Yoga (der Sportverein!): ich liege auf dem Rücken und atme tief ein und tief aus, bzw. ich versuche es nach meinen Möglichkeiten. Noch hat die Yoga-Session (nennt man das so? Ich bin so ahnungslos) nicht begonnen, das Liegen ist zur Einstimmung gedacht. Meine Arme sind nach hinten gestreckt, tief Einatmen (es zuckt unter meinem linken Schulterblatt und ein Stück weiter unten *aua*) und Ausatmen (warum tut mein linker Arm plötzlich weh?). Muss ich etwa Liegen lernen? Das ganze Sitzen und Denken tagsüber jedenfalls hinterlässt leicht beängstigende Spuren. 1,5 Stunden ( und zwei Schwindelanfälle, es war sehr heiß und der „Berg“ sehr steil) später bin ich fertig mit der Welt, aber tatsächlich entspannter. Seitdem habe ich schon zwei Mal den Kurs verpasst (Gemeindedinge), aber morgen wieder. Bestimmt. Ganz bestimmt!

    Seit fast 20 Jahren (omg) lade ich zu Taizégebeten mit ein, spiele Gitarre und singe, immer im Schneidersitz auf dem Boden. Die „Erwachsenen“, die ihre Stühle brauchen, habe ich manchmal milde belächelt. Ab sofort nehm ich mein Gebetsbänkchen und lächle ein wenig über mich selbst.

    Die Konfis kommen mir manchmal so gehemmt und steif vor. Energizer (Shake! Banana, shake, shake, Banana!) können da Wunder bewirken. Oder auch ein Gefühl des Fremdschämens, weil der Pfarrerin beim Springen und Rufen zusehends die Kräfte ausgehen und sie immer leiser wird (so geschehen vorgestern, uff). Wenn ich so weiter mache, liegen bald alle mit mir auf dem Boden und müssen Atmen üben. Dann gucken die sich noch mal um!

    Manchmal unterhalte ich mich mit Seniorinnen (es nutzen in meiner Welt echt nur Frauen) über ihre Rollatoren. Die Teile sind ja echt eine gute Möglichkeit mobil zu bleiben. Ja, da kann man doch auch Einkaufstüten anhängen. Ich nicke zustimmend. Und sich mal hinsetzen, wenn man nicht mehr kann – voll praktisch. Ich nicke leicht neidisch. Und stelle dann fest, dass ich ja gerade erst 35 geworden bin. Man muss es ja nu nicht übertreiben.

  • Der Maler

    August 22nd, 2019

    Ungefähr in der Mitte meines Sommerurlaubes, als ich gerade mit meiner Freundin Friedi in einem extra schiefen Haus gegen die Schwerkraft kämpfte (so weird!), rief mich mein Hausmeister wegen des Wasserschadens in der Wohnung an. Übelkeit wegen des Hauses und Unruhe wegen der Wohnung vermischten sich auf ulkige Weise. Bah. Friedi und ich wankten seltsam stumm zum Auto und fuhren wieder nach Hause. Handwerker kamen und maßen, berieten laut miteinander, schraubten und fanden etwas Tropfendes, das innerhalb einer Woche auch Feuchtigkeitsschäden bei der Nachbarin von unten bewirkt hatte.

    So teilte ich in den letzten Wochen die Wohnung nicht nur mit der Katze, sondern auch mit einem grauen, klobigen Schlauch, der in Verbindung mit einer Turbine und einem Entfeuchter den Boden und die Wände wieder trocken kriegen sollte. Hat gedauert und war laut und ätzend (die Katze protestierte auch laut und ätzend/pinkelnd), aber hat schließlich geholfen.

    Seit drei Tagen sind die Gerätschaften wieder weg und heute kam der Maler. Weiße Latzhose, um die 60 vielleicht, ein fröhlicher Typ, der das Schnacken mit Kunden gewöhnt ist.

    Er, kniend vor der Sockelleiste im Wohnzimmer „Und was machen Sie so?“

    Ich sitze auf der Couch und lese eigentlich gerade „Ich bin Pfarrerin.“

    „Hä? Wie jetzt? Fahrerin oder so?“ [lustig, IMMER wieder]

    „Nee, im Sinne von Pastorin. Pfar-re-rin.“

    „Ach so, Pfarrerin. Hatte ich gar nicht so verstanden. Na das ist ja ein Ding. Hatte ich noch nie, dass ich bei einer Pfarrerin war.“

    „Das wundert mich ja fast, hier wohnen doch haufenweise Pfarrer*innen im Ruhestand.“ [Das ist tatsächlich so. Drei, vier Emeriti sind hier im Gottesdienst keine Seltenheit. Aber die sind zum Glück ganz entspannt und lustig, andere können da ganz andere Geschichten erzählen]

    „Wenn Sie Pfarrerin sind, dann müssen Sie doch so einen richtig krassen Glauben haben, oder?“

    Und zack ist es vorbei mit Lesen. Während im Badezimmer langsam die Farbe trocknet, entspinnt sich im Wohnzimmer ein Gespräch über Glauben, Kirche, Religion an sich und das Leben nach dem Tod. Hier ein paar Momentaufnahmen:

    „Katholisch oder evangelisch?“ [seufz]

    ….

    „Mit Traditionen hab ich’s ja nicht so. Nur weil etwas früher so war, muss man es ja heute nicht glauben.“ – „Ich finde, es gibt doch auch gute und wichtige Traditionen…Und es ist doch auch schön, das Rad nicht ständig neu erfinden zu müssen und von Leuten zu erfahren, die sich auch Gedanken gemacht haben.“

    ….

    „Ich glaube an nichts. Nichts Übergeordnetes. Ich geh arbeiten, verdiene mein Geld und dann kann ich essen. So einfach ist das.“ – „Glauben Sie nicht an irgendetwas? An Liebe vielleicht? Familie?“ – „Ach so ja klar. Ja, an Liebe glaube ich. Und ich verhalte mich auch gut, teile und bin freundlich. Aber ich will an nichts Größeres glauben.“

    ….

    „Was macht das denn für einen Unterschied, wenn man glaubt? Ich meine so von der Lebensführung her und so? Ist das nicht alles gleich?“ – „Ich glaube, dass Gott in dieser Welt sein Reich anbrechen lässt und sein Reich kommt und mit ihm Frieden und Gerechtigkeit, und ich kann daran mitwirken. Diese Hoffnung und dieses Vertrauen macht glaube ich schon was aus. Das setzt doch Handlungskräfte frei.“

    – „Und richtig schlimm finde ich, wenn Kinder da reingezogen werden. Dann ist das wieder mit diesen Traditionen. Da wird denen was übergestülpt und so können die sich gar nicht frei entwickeln. Die sollen sich später entschieden, wenn sie groß sind.“ [dass das mit dem Entscheiden besser geht, wenn man mit der Religion vertraut ist werfe ich jetzt nicht ein, ich ahne, dass da noch was kommt und tatsächlich:] – „Hmhm“

    „Ich hatte mal einen Kollegen, der war bei den Zeugen Jehovas. Und wir haben uns immer abgewechselt, mal Frühstück bei mir und mal bei ihm. Netter Kerl und alles. Aber bei ihm zuhause, mit den Kindern, die waren so streng mit denen. Vor dem Essen wurde gegebet und ich sollte mitbeten. Weil ja alles von Gott kommt auf dem Tisch. Und da hab ich dann gesagt: „Ja spinnst du denn?! Da arbeiten wir doch für, dass hier das Essen ist. Ich bete nicht! So ein Quatsch!“ Und dann haben die nachher für mich mitgebetet, das hab ich die dann machen lasen. Später konnte ich mit dem nicht mehr zusammen arbeiten. Wenn da Kinder im Spiel sind, das geht für mich nicht.“

    …

    „Wenn man etwas logisch nicht erklären kann, dann ergibt das für mich keinen Sinn. Die Wissenschaft hat doch aufgeräumt mit Gott. Und mit dem Leben nach dem Tod. Es ist doch total unlogisch, dass da noch was kommt.“ – „Gibt es nicht auch Dinge, die mit Logik nicht zu erklären sind? Wissenschaft und Glauben schließen sich nicht zwangsläufig aus. Und woher wollen Sie denn wissen, dass nach dem Tod nichts kommt? Das kann doch niemand sagen. Wer will das denn wissen?“ – „Hm..Hm..Stimmt auch wieder.“ „Ich kann das ja auch nicht mit Sicherheit sagen, ich glaube nur daran. Aber Herr Maler, wenn wir beide tot sind und im Himmel, dann müssen wir uns verabreden. Und wenn wir beide tot sind und nichts ist, dann hatten Sie eben Recht.“ “ Ja, das können wir dann machen. Oha! Was ist denn hier bei Ihnen Flur? Da ist ja noch ein Fleck. Ich mach da mal eben was drüber..“

    …

    Einige Minuten später packt er sein Zeug zusammen, gleich geht es für ihn los.

    Der Maler guckt noch mal zur Leiste und sagt:

    „Gott sei dank hält die jetzt.“

    Ha! Denke ich. Wusst ich’s doch!

  • Plötzlich in Taizé

    Juli 24th, 2019

    Soweit hier von „plötzlich“ die Rede sein kann, schließlich habe ich gefühlt meine halbe Jugend auf dem Hügel im Südburgund verbracht. Tatsächlich waren es über die Jahre verteilt wohl insgesamt eher einige Monate (Zahlen, ihr wisst schon..), aber die waren bedeutsam.

    Ich erinnere mich an Sträucher mit unzähligen reifen Brombeeren auf dem Weg nach Olinda. An das Pferd, das an der Straße stand und das wir nicht füttern sollten (und es trotzdem machten). An heißen Asphalt unter den Schuhsohlen und den Duft von vertrocknetem Gras, an bunte Trinkschalen, aus denen sich kringelig das Plastik herausschälte, an kalte Duschen und den leichten Duft von Sonnenblumen und den Geschmack von Zitronentee und der Schokolade zum Frühstück.

    Ich erinnere mich an den klugen Gunnar aus Österreich und Gerti, die fast genauso aussah wie ich (wie das wohl heute ist?), an Jack aus England, Madeleine aus Frankreich und den musikbegeisterten Portugiesen Ricardo, an die Leute aus meine Heimatgemeinde, an unsere Pfarrer*innen, an Anna und ihre etwas jüngere Schwester und an Menschen, die damals wichtig für mich waren. Und besonders an Frére Roger, der klein, bestimmt und etwas gebückt zu seinem Platz im hinteren Teil der Kirche ging, um sich herum ein Scheinen aus Gutmütigkeit und Vertrauen.

    Ich war 12 Jahre alt, als ich zum ersten Mal nach Taizé kam. Das ist nun schon über 20 Jahre her (omg!!) und so kam es, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal als „adult“ anreiste. Tent F, Kaffee zum Frühstück, heiße Duschen und ruhige(re) Nächte. Um mich herum Familien, junge und nicht mehr ganz so junge Erwachsene, Begleiter*innen von Jugendgruppen und nicht wenige Menschen im Pfarrdienst. Den einen (mutmaßlichen) Kollegen meinte ich an seiner Art lesend auf einem Stuhl zu sitzen (sehr wichtig, aber auch betont entspannt und mit Strohhut) und an der Art der Begrüßung seiner Leute als Pfarrer zu erkennen „Guten Morgen“ – mit Betonung auf den jeweils ersten Silben und in tiefer Tonlage. Entwickele ich eine Art Pfarr-dar, ähnlich wie Gustavo aus Brasilien über einen recht treffsicheren Gaydar verfügt? God only knows..

    Wenn irgendwo Glocken klingen gerät in mir immer etwas mit in Bewegung. Das war schon in meiner Heimatstadt so, als ich noch gar nichts mit Kirche am Hut hatte. Läuteten die Glocken spitzte ich die Ohren und bekam eine Ahnung davon, das es irgendwie noch mehr geben musste als das, was mir vor Augen war. Wenn in Taizé die Glocken dreimal am Tag zum Gebet rufen, lassen die Menschen auf dem Hügel alles stehen und liegen und begeben sich in die Kirche, ohne Hektik, ganz selbstverständlich. Ich finde das immer unheimlich schön zu sehen und zu erleben. So kann es also auch sein. Zusammen mit Gerti, Ricardo und Madeleine und tausenden anderen Menschen, die gemeinsam singen, beten, hören und schweigen, sich bewussst in Gottes Nähe bringen. Die Brüder meinen, das verändere einen mit der Zeit, der Heilige Geist wirke und schaffe und erneuere. Ich glaube, das kann gut möglich sein.

    Es ist anders mit fast 35 Jahren in Taizé zu sein, als mit 16 Jahren. Aber es ist gut. Und obwohl es dafür eigentlich zu früh war, habe ich auf einem Spaziergang in einem kühlen Wald in der Nähe tatsächlich ein paar reife Brombeeren entdeckt. Und eine äußerst bezaubernde blaue Libelle. Hach. <3.

    Der Abschied von Taizé fiel mir immer unheimlich schwer, jetzt war es mehr eine kleine Traurigkeit. Ich weiß, dass ich mit manchen Taizéfreundinnen und -Freunden in Kontakt bleiben werde, auch über Jahre hinweg. Und ich weiß auch, dass ich zurück komme werde, im Idealfall mit Jugendlichen aus der Gemeinde und dem Kirchenkreis. Wenn sie dann Taizé-Twister auf den Bänken oder Ninja unterm Glockenturm spielen, beim Abwaschen klatschnass werden oder die Namen der Staubsauger in der Kirche aufzählen, wenn sie sich mit Händen und Füßen in ihren Gesprächgruppen versuchen auszudrücken, sich von den Glocken zum Gebet einladen lassen und beim Abschied ein paar Tränen verdrücken, dann werde ich eine extrem zufriedene Pfarrerin sein.

    (ein gestaltetes Gebetsbänkchen im vorderen Teil der Kirche)

  • Aus gegebenem Anlass VIII

    Juni 30th, 2019

    Predigt zum Stadtfest 

    Heute, am zweiten Tag unseres Stadtfestes und in den letzten paar Tagen vor den Sommerferien nehmen wir uns Zeit. Zeit, um im Trubel des Stadtfestes und am Ende dieses Schuljahres bewusst innezuhalten und Luft zu holen. Zeit für uns und auch Zeit für Gott soll es sein.

    Der Sommer ist grundsätzlich, finde ich, die allerschönste Jahreszeit. Vor allem, wenn Sommerferien sind und man ohne Ablenkung durch Schule oder Arbeit das tolle Wetter genießen kann. Sofort fallen mir da traumhaft vergnügliche Unternehmungen ein: 

    an einen See zum Baden fahren, sich mit Freundinnen und Freunden auf ein Eis treffen, spät abends ohne zu frieren Sonnenuntergänge bewundern oder unterm Rasensprenger Abkühlung finden und mit Glück einen Regenbogen zwischen den Wassertropfen entdecken. 

    Euch fallen bestimmt noch viel mehr tolle Sachen ein, die man machen kann. 

    Viele von euch fahren in den Ferien bestimmt auch weg, für ein paar Tage oder sogar Wochen. Vielleicht reist ihr sogar an Orte und in Länder, wo ihr vorher noch nicht wart, in Gegenden, die euch noch fremd und unvertraut sind. 

    Reisen finde ich total spannend, denn es verändert die Welt und verändert auch uns Menschen. Unterwegs entdecken Menschen Orte, blicken über Horizonte, sie finden aber auch zueinander, lernen sich neu oder noch einmal anders kennen. Reisen setzt in Bewegung und stiftet Verbindung. Reisen verändert und tut gut darin. Dazu muss der Weg gar nicht unbedingt in exotische Weiten führen. Das Verändernde und Besondere kann uns genauso gut an unscheinbaren,  ja, sogar auch tristen, kargen Orten begegnen. Und manchmal – so Gott will – kann ein Mensch dabei einen Blick aufs Himmelreich erhaschen und wird reicher beschenkt, als er oder sie es sich hätte ausmalen können.

    Wenn uns etwas Besonderes im Unwirtlichen geschenkt wird und wir es nicht erklären können haben wir es, glaube ich, mit Gott zu tun. Gemeinsam unterwegs an unwirtlichen Orten, das Gefühl hat auch Jakob. 

    Jakob geht auf Reisen – aber nicht freiwillig. Er ist auf der Flucht, wie Millionen von Menschen heute. 

    Doch Jakob treiben nicht etwa Krieg oder Naturkatastrophen von zuhause weg, er flieht aus anderen Gründen. Jakob kann sich nämlich zuhause bei seiner Familie nicht mehr sehen lassen. Er hat den Vater und seinen etwas älteren Zwillingsbruder Esau zu seinem eigenen Vorteil schlimm betrogen, schließlich ist alles aufgeflogen. Sein Bruder Esau ist so traurig und wütend, er droht ihm sogar mit dem Tod. 

    Aus Todesangst flieht Jakob nun aus seiner alten Heimat. Er hat keine Zeit zum Packen,  kann keine günstige und schön gelegene Unterkunft bei Air-Bnb buchen – in seiner Not weiß er auch gar nicht wohin. Obdachlos und völlig alleine macht sich Jakob also auf den Weg ins Ungewisse, zu Fuß.  Es wird eine Reise, die für ihn und die Welt alles verändern wird.

    Jakob läuft und rennt immer weiter, taumelnd und stolpernd. Das geht so bis die Sonne untergeht, die hereinbrechende Nacht zwingt ihn dazu innezuhalten und in all der Bewegung ruhig zu werden. 

    Wenn in der Bibel geschrieben steht, die Sonne geht unter und die Nacht kommt, ist das ein Zeichen dafür, dass etwas Wichtiges passieren wird. Die Nacht ist nämlich die Zeit der besonderen Gottesbegegnung. 

    Aber zunächst ist hier draußen nichts – keine Herberge, kein Haus – nicht mal ein Stall. Ein tatsächlich unwirtlicher und unschöner Ort für eine spontane Übernachtung, mitten in der Einöde zwischen den zwei Orten Beerscheba und Haran. Hier wird Jakob auf der blanken Erde unter freiem Himmel schlafen müssen, ungeschützt und unbequem. So legt er seinen Kopf auf einen Stein, um zu schlafen. 

    In der Nacht träumt Jakob. Und genau an dieser öden Stelle, mitten im Nirgendwo, begegnet ihm Gott. 

    Im Traum sieht er eine Verbindung von dem Ort, wo er liegt, bis in die höchsten Höhen, eine Art Rampe. Für das hebräische Wort, dass da im alten Text steht findet Martin Luther später eine schöne Übersetzung:  bei ihm sieht Jakob eine „Himmelsleiter“. Engel steigen daran auf und ab. An ihrem Ende steht Gott und spricht zu Jakob: 

    „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dieses Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe“. 

    Was für eine wunderbare Verheißung! Und das ausgerechnet in dieser Situation und an diesem Ort. 

    Gott kann einem Menschen zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort begegnen, glaube ich. Ein Aufbruch ins Ungewisse, eine Reise zu unbekannten Orten und Ruhe können aber dabei helfen, offener für Gottes Gegenwart zu sein. So wie bei Jakob.

    Gott sieht Jakob und lässt sich von ihm sehen und hören. Obwohl Jakob bisher nicht gerade durch positives Verhalten aufgefallen ist, Jakob hat viel Unrecht getan und sich selbst in eine absolut isolierte Situation gebracht. Ohne Familie, ohne Freundinnen und Freunde, alleine irgendwo draußen in der Wildnis. Fern von allem. Aber nicht zu fern für Gott.

    Gott vermag es, auch hier zu wirken, Gutes zu bewirken. Denn er hat große Pläne für diesen Jakob, der einmal Israel heißen und der Erzvater eines ganzen, heiligen Volkes werden soll. 

    Bis Gottes Verheißungen ganz Wirklichkeit werden, wird für Jakob jedoch eine lange Zeit vergehen und erst danach wird im biblischen Text wieder die Sonne aufgehen. 20 Jahre wird er fern der Heimat sein und dort schwer arbeiten und eine Familie gründen. 

    Sein Traum von der Himmelsleiter an jenem unwirtlichen Ort wird ihm in alledem zur Zuversicht. Denn Jakob vertraut nun auf Gottes Worte. Darauf, dass er ihm versprochen hat eines Tages wieder heimzukehren und bis zu diesem Tag bei ihm zu sein. Das Vertrauen auf diese Verheißung beginnt für Jakob in jener Nacht an diesem fremden, scheinbar tristen Ort. Ab sofort hat Jakob einen Orientierungspunkt für sich, wie einen Kompass. Auf Gott und seine Zusagen kann er sich verlassen, komme was das wolle. Gott kann alles zum Guten wenden. Gott begleitet ihn auf seinem langen Weg nach Hause. Seine Reise ist behütet. 

    In der Nacht handelt Gott. Am morgen darauf handelt nun Jakob. Mit dem Stein, auf dem er geschlafen hat errichtet er einen kleinen Altar für Gott und nennt die Stätte Bethel. Als Zeichen dafür, dass ihm dieser unscheinbare Ort zu einem besonderen, einem heiligen Ort geworden ist, an dem er Gott ihm ganz nahe war. 

    Gott kann einem Menschen zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort begegnen, glaube ich. Ein Aufbruch ins Ungewisse oder eine Reise zu unbekannten Orten und ein paar ruhige Momente können uns aber dabei helfen, offener für Gottes Gegenwart zu sein und auf seine Verheißung für uns zu lauschen. 

    Wenn nun manche von euch in den Urlaub fahren und sich in eine ungewohnte Umgebung begeben, kann es auch dort passieren, dass sich ein zunächst fremder oder schlichter Ort in einen ganz besonderen Ort verwandelt. Und vielleicht, so Gott will,  wird auch an jenen Orten sichtbar, was für das Auge sonst unsichtbar ist: dass Himmel und Erde verbunden sind und Gott uns mit seinen Engeln auf unseren Lebenswegen und Reisen behütet und beschützt. 

    Und wenn ihr irgendwann, irgendwo in diesen Sommerferien besonders stark dieses wunderbare Gefühl habt, dann macht es doch wie Jakob und legt einen Stein an die Stelle, wo ihr Gott und seine Verheißung spüren konntet. Nehmt euch einen der kleinen, weißen Steine, die jetzt von unseren Konfis verteilt werden und nehmt ihn mit auf euren Reisen, egal ob nah oder fern und lasst ihn dort. Weil für uns alle gilt: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dieses Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe“.

    Amen

    Liebe Lesende – habt es gut in diesen Sommerwochen! 🙂  Ich hab ab morgen für eine Weile Urlaub und fahre an die See, yay!

    Love and blessings, eure ploetzlichpfarrerin.

  • Campen für Christus

    Mai 27th, 2019

    Bei einer Geburtstagsrunde in der letzten Woche wollte mir eine Dame ernsthaft weis machen, dass es der Gemeinde hier besorgniserregend schlecht gehe. Es seien heutzutage ja soo wenig Jungen und Mädchen in den Konfirmandenjahrgängen. In ihrem eigenen Jahrgang waren sie 100 Konfirmandinnen und Konfirmanden. Einhundert! Im Vergleich zu solchen Größenordnungen können Gruppen wie hier mit zehn bzw. vierzehn Jugendlichen schon miniklein aussehen. Wiederum verglichen mit der Lage auf dem platten Land sind die Zustände hier paradiesisch. In meinem letzten Jahr in der ersten Gemeinde hatte ich keine*n einzige*n Konfi. Vieles ist letztlich eine Frage der Perspektive. Gemeckert wird trotzdem immer. Da frage ich mich (frei nach Joey Tribbiani) why god, why??? Und warum sich die ewigen Nörgler*innen mit ihrem „früher war alles besser“ nicht selbst kräftig auf die Nerven gehen.

    Mein Hippieonkel erinnerte mich letztens daran, dass ich einst Pfarrerin werden wollte, um mit Jugendlichen zu arbeiten. Jetzt ist das tatsächlich möglich. Und das hab ich nun davon (Ausschnitte des Wochenendes):

    Die Konfis wollen vor den Ferien unbedingt noch etwas Tolles machen. Ich schlage vor: „Übernachten in der Kirche“ und erwarte begeisterte Zustimmung (sie fürchten sich). Sie wollen lieber Zelten im Kirchgarten. Na gut, auch ok (ob sie ahnen, dass das auch mal ein Friedhof war?). Wir haben Platz, eine Feuerstelle, und ein großes, an den Seiten offenes Festzelt, das schon steht und unter dem ein paar Leute schlafen können, wenn die mitgebrachten Zelte nicht reichen sollten.

    Der Abend beginnt mit einem Taizégebet (sie singen ganz zauberhaft mit), dann Zeltaufbau, Spielen, Pizza und Lagerfeuer mit Stockbrot und Playlist-battle der Jugend und mit Fragen, die die jugendliche Welt bewegen: „Sara, kennst du die Ärzte?“ (die Frage tut schon ein bisschen weh) – „Was denkst du eigentlich, wie alt ich bin?!“, „Sara, kennst du Von wegen Lisbeth?“ – „Na klar. Da wär ich letztens fast zum Konzert gewesen“. Aber auch Geschichten aus dem Schulalltag, von Wahlfächern („Soll ich lieber Gender, Sexualität oder Homophobie belegen?“), Freundschaften und Müttern („Meine Mutter würde jetzt schon russische Lieder singen und tanzen“) und natürlich und bis in alle Ewigkeit das Werwolf -Spiel. Why god, why? Ob es eine Statistik gibt, wie viel Lebenszeit Menschen im kirchlichen Dienst im Schnitt mit den Werwölfen im Düsterwald verbringen müssen? Bestimmt sind es Wochen oder Monate. DAS ist besorgniserregend.

    Gegen halb zwölf nachts lichtet sich die Runde. Einige spielen jetzt Wahrheit oder Pflicht. „Sara, spielst du mit?“ – „Nee, macht ich mal.“ Moritz muss mit seinen Socken Marshmallows essen; Lena jemandem auf der Straße frohe Weihnachten wünschen; Hanna erzählt ihre jüngste Lüge (zum Glück harmlos) und Karl muss drei Minuten Comedy (der Arme) machen. Ich lege ab und an Holz nach und freue mich, dass die Jugendlichen eine gute Zeit haben. Ab Mitternacht geht die Meute langsam schlafen. Ich lande mit unter dem Festzelt, zwei Isomatten, ein Schlafsack, eine gewisse Grundanspannung (was ist eigentlich, wenn uns hier wer besuchen kommt? Was war dieses Rascheln? Wie kann ein einzelnes Mädchen so unfassbar viel Krach machen? Man, Maxi! Warum brettern die Autos hier lang, als wären sie auf der Flucht? Oh, eine Nachtigall..) Vielleicht komme ich in dieser Nacht auf drei Stunden Schlaf.

    Als die Vögel ihr Morgenkonzert beginnen, wache ich auf. Es ist eiskalt. Etwa eine Stunde versuche ich, wieder in den Schlaf zu finden, die Kinder liegen seelenruhig in ihren Schlafsäcken, beneidenswert. Dann reicht es mir und ich stehe fröstelnd und leise fluchend auf, mache mir einen Kaffee, setze mich in mein warmes Büro (Halleluja!) an den Schreibtisch und beginne, zu arbeiten. Vor sechs. Ein echtes Happening. Es werden äußerst produktive zwei Stunden. Ich schaffe es, den Ablauf für den Vorstellungsgottesdienst der großen Konfis hübsch aufzuschreiben, eine Liste der Teilnehmenden für die Konfifreizeit in den Sommerferien fertig auszufüllen und wegzuschicken und das Chaos in meinem Büro zu beseitigen. Danach geht es langsam aber beharrlich bergab. Ein Erkältungsbad und zweifaches Nachschlafen tagsüber können die garstige Erkältung (eine Nacht draußen, gleich krank, nix mehr gewöhnt, hmpft) nicht aufhalten.

    Am Abend findet das große Sommerkonzert des Chores statt. Ich putze mir dabei so oft die Nase, dass eine Sängerin mich hinterher mitleidig anspricht („Allergie?“ „Konfis und Kirchgarten!“). Je später der Abend wird, desto dichter werden meine Ohren. Beim gemeinsamen Ausklang bei Wein und Kartoffelsalat verstehe ich irgendwann nur noch die Hälfte. Meinen Augen tränen auch. Man legt mir das als nonverbalen Aussage zum Game of thrones-Finale (fatal!Ahrgh!) aus, was nicht ganz falsch ist.

    Zum Glück muss ich am nächsten Morgen in der Kirche nicht predigen, die großen Konfis machen den Gottesdienst selbstständig. Sie werden das gut machen, die Gemeinde wird sich angetan zeigen und ich werde darüber überrascht staunen und unendlich erleichtert sein (schließlich ist das die Gruppe mit den Jungs, die ich permanent gegen Wände klatschen will, aus guten Gründen). Zuhause werde ich dann erschöpft, aber zufrieden ins Bett fallen, mit lieben Menschen telefonieren und den blöden Schnupfen mit Humor nehmen: Erkältet für die frohe Botschaft, Krank für Konfis, Erkältet für Christus. Was man nicht alles macht…

  • Wolkig bis heiter

    Mai 23rd, 2019

    Kaum zu glauben, dass ich im August schon Einjähriges in der Gemeinde hier feiere. Fast fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, dass ich im Garten unter dem blühenden Apfelbaum in der Hängematte saß und mich in meinem Abschiedsschmerz von Paul Simons 50 ways to leave your lover trösten ließ.

    Vielleicht liegt die gefühlte Aktualität auch daran, dass ich gerade am Montag wieder dort war für eine Beisetzung. Frau Welka war wenige Tage zuvor in ihrem Geburtshaus in Dorf A verstorben. Kurz nach Weihnachten hatte mich hier ein Brief erreicht mit der Bitte, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Der Krebs war zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten, Chemo und Krankenhausaufenthalte kamen für sie nicht in Frage, sie wollte zuhause bleiben. Frau Welka war ein echtes Phänomen. Als ehemalige Leiterin der Post im Ort kannte sie alles und jeden. Ihre trockenen Kommentare beim Gemeindekreis ließen mich endlich begreifen, dass auch Seniorinnen und Senioren es faustdick hinter den Ohren haben können. Frau Welka hat zwei Söhne, von verschiedenen Vätern, die sie beide nicht geheiratet hat. Bis zu ihrem Tod trug sie ihren Mädchennamen und war stolz darauf. Eine taffe, liebenswürdige Frau.

    So fuhr ich an meinem freien Tag mit meinem neuen gebrauchten Auto (so sauber! So gut in Schuss! So unauffällig! So nicht-Ulf, sondern …?) in die erste Gemeinde, traf meinen Bestatter („Hallo, meine Lieblingspfarrerin!“) und 110 Menschen, die sich auch mit Frau Welka verbunden fühlten. Bei den Erdwürfen sah ich die Männer und Frauen, die mir in den letzten Jahren so vertraut geworden sind und das Herz wurde mir ganz weich. Die Beziehung zu manchen Gemeindegliedern bleibt lebendig, auch wenn man schon eine ganze Weile woanders ist. Das ist eine wunderbare und beruhigende Erfahrung. Manches bleibt. Gott sei Dank.

    Hinterher beim Kaffee gab es lange Umarmungen, das eine oder andere Gespräch („…und dann hab ich mir den Oberschenkel gebrochen“ „Wissen Sie, ein neuer Pfarrer kommt im Sommer!“ „Wir haben uns heute auf Sie gefreut!“), ein paar Tränen und fröhliche Erinnerungen an Frau Welka. Schon toll, was man als Pfarrerin so erleben darf.

    Die Seniorinnen und Senioren hier sind ebenfalls äußerst unterhaltsam. Gestern, während ich das Zeug für die Andacht zusammensuche:

    Frau Michel (die Dame mit der schweren Krebserkrankung, aber auf wundersame Weise noch immer quietschfidel) ist heute auf Freundlichkeit aus und geizt nicht mit Komplimenten. Sie schaut in die Runde, bleibt (ihr direkt gegenüber) bei Frau Lucke hängen und sagt „Gerda, du siehst heute so frühlingshaft aus!“ Gerda Lucke reagiert nicht. Sie hört sie nicht, weil neuerdings ihr Hörgerät auf der rechten Seite kaputt ist. „Gerda! Hörst du? Ich hab gesagt, du siehst heute so frühlingshaft…“ Gerda Lucke schaut interessiert in die andere Richtung. Frau Michel liegt ihre Charmeoffensive offenbar sehr am Herzen und ruft laut nun über den Tisch“GERDA! ICH WILL DIR ETWAS SAGEN!“. Frau Lucke wird von ihrer Nachbarin Frau Naue stupsend auf Frau Michel aufmerkam gemacht und dreht endlich den Kopf: „DU SIEHST HEUTE SO FRÜHLINGSHAFT AUS!!“ Frau L. lächelt geschmeichelt.

    Kurz darauf blickt Frau Michel nach links zu unserem Ältesten, Hartmut Dieter, 91 Jahre alt, ehemaliger Lokführer, nah am Wasser gebaut, aber kräftig und mit wachem Blick für Weltgeschehen und Gesellschaft. Vor ein paar Jahren hat Hartmut Frau M. mit Blumen und Aufmerksamkeit überhäuft, aber Frau M. wollte nicht. Nun sagt sie zu Hartmut „Na Hartmut, heute siehst du ja gut aus! Ganz frisch! Bist du fröhlich?“ Hartmut hört sie, lacht brummend und schaut seinerseits an das andere Ende des Tisches zu Frau Naue, (der Nachbarin von Frau L.) und sagt „Ich schau ja immer zu dir rüber“. Aber auch Frau Naue hört schlecht und bekommt das Kompliment gar nicht mit. Wieder greift Frau M. ein und ruft so lange über den Tisch („Inge, Hartmut hat dir was zu sagen. Hartmut hat.. Inge! INGE!!!“), bis Inge Naue aufblickt und die Schmeichelei hört, aber kaum darauf reagiert. Frau M. scheint nun ihrerseits etwas für Ihren Nettigkeitsrausch zu erwarten und sinnt auf Informationen: „Inge, habt ihr etwa ein Verhältnis, du und Hartmut?“ Daraufhin sage ich belustigt-streng zu Frau M. „Na, Sie können ja Fragen stellen, so neugierig! Was ist denn heute los in dieser Runde?“ Mein Sitznachbar Günther R., vielleicht Mitte 60, stellt nüchtern fest: „Naja, ist halt Frühling. Sagt man doch so. Frühlingserwachen“. Ich könnte schwören, dass ich später, beim Aufräumen der Kaffeetafel auf Frau Naues Gesicht ein fast mädchenhaftes Lächeln gesehen habe. Flirten macht Sachen, die schön sind. Hier im Gemeindekreis geht jedenfalls so Einiges!

    Und der Soundtrack dazu hat auch seine Hits:

    Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht. Die Tier sieht man jetzt springen mit Lust auf grüner Weid, die Vöglein hört man singen, die loben Gott mit Freud.

  • Aus gegebenem Anlass VII

    April 19th, 2019

    Predigt Karfreitag 2019

    Am Anfang ist da eine sternklare Nacht mit einem Himmel, so offen und weit die Augen sehen können. Da sind auch Felder und Hirten mit ihren Schafen und ein zugiger Stall, mit pieksendem Stroh in einer Futterkrippe. Von Ferne klingt ein himmlisches Sausen, fast wie ein Singen, entrückt und jubelnd.

    Das Neugeborene liegt in den Armen der Mutter, spürt die wärmende Haut, ihren Herzschlag. Kaum auf der Welt wird Jesus von Liebe umfangen. Ich stelle mir vor, wie Maria und Josef zärtlich mit dem Kleinen reden, wie er gestreichelt und liebkost wird, in Windeln gewickelt, gestillt.

    Am Anfang seines Lebens ist Gottes Sohn in seiner Menschlichkeit anrührend, mit so kleinen Händen und Füßen mit winzigen Fingern und Zehen, mit Hunger und mit Durst und Bauchschmerzen – angewiesen auf die Fürsorge seiner Eltern. Ein schutzbedürftiges Kind mit einem Blick wie aus einer anderen Welt. Von Beginn an ist das Menschenkind Jesus in Gefahr sein Leben wieder zu verlieren – es braucht Frauen und Männer, die ihm helfen, Sterndeuter und Weise, Menschen, die ihm und seiner Familie auf der Flucht Obdach geben.

    So wird es später erzählt und dann von einigen aufgeschrieben werden, damit niemand den Anfang seiner besonderen Geschichte vergisst. Den Anfang von Gott, der sich hinein in diese Welt wagt und mit ihr in Beziehung geht, sich berühren lässt und berührt. Eine Geburt ins Ungewisse und Riskante. In seiner Abhängigkeit und Bedürftigkeit ist dieser Beginn fast schmerzlich finde ich. Gottes Sohn ist Mensch geboren.

    Am Ende ist Jesus ein Mensch, der einen gewaltvollen Tod stirbt. Unter einem Himmel, von dem im Evangelium nach Johannes nichts weiter berichtet wird. Es ist der Tag vor dem Passahfest, die Sterne sind lange schon verblasst. Ich stelle mir eine erstickte Stille vor, Ohnmacht legt sich schwer auf Brust und Herz, schon beim Gedanken daran. Links und rechts von ihm zwei andere Sterbende. Gefoltert. In ihrem Leid zur Schau gestellt, an Kreuzen in der Höhe auf einen Hügel nahe der Stadt. Die letzten lebendigen Stunden werden zur Qual. Unten sind Soldaten die um seine Kleider spielen. Oben ist ein Schild an seinem Kreuz, mit einer Botschaft für die ganze Welt – Jesus von Nazareth, der Juden König. Pilatus ahnt nicht, wie weltbewegend das Geschehen tatsächlich ist. Wie viele Menschen von diesem Tag und den Tagen danach erzählen werden, aber noch ist es nicht so weit.

    Vor allem aber sind da Menschen in seiner Nähe, die Jesus liebt. Seine Mutter und deren Schwester, dann seine Freundin und Wegbegleiterin Maria von Magdalena und sein engster Freund, der Lieblingsjünger. Jesus ist nicht allein, als seine Kräfte immer mehr schwinden. Liebe umfängt ihn auch jetzt, am Ende. Und aus Liebe handelt er, ein letztes Mal: Jesus verweist seine Mutter in die Obhut des Freundes, er will diejenigen versorgt wissen, an denen sein Herz hängt. Ein weiteres menschliches Bedürfnis überkommt ihn, er hat Durst, bittet um etwas zu trinken, nimmt davon und spricht seine letzten Worte: Es ist vollbracht. Dann neigt Jesus, der Sohn Gottes sein Haupt und verstirbt. Es ist vollbracht.

    Dazwischen, zwischen Anfang und Ende schillert und pulsiert das Leben des Gottessohnes, farbenprächtig wie ein Regenbogen, aufgespannt in sämtliche Richtungen – in die Höhe und Weite, mitten ins Herz und in die Tiefe. Was immer auch in den Erzählungen von und über Jesus geschieht, es vollzieht sich in der Begegnung mit Menschen. Besonders in der jüngsten Perspektive auf den Gottessohn, die von Johannes aufgeschrieben wurde.

    Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Jesus kannte die Tora, natürlich. Jesus erfuhr aber auch das Geschenk einer liebevollen Familie, von Freundinnen und Freunden, Wegbegleitern und weltverändernden Begegnungen. Gottes Wort hat er so mit Leben gefühlt.

    Er hat aber auch Gottes Wort mit Leben gefüllt. Er berührte und heilte, trank und aß, lachte und weinte, lehrte und stritt, wunderte sich und verwunderte andere, Jesus konnte rauschende Feste feiern, aber auch für sich alleine sein. Gottes Sohn als Mensch unter Menschen. 4 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

    Viel Leben und viel Lieben, das sich vom Anfang bis zu seinem Ende durchzieht. In seinem Leben auf Erden begrenzt, in seinem Lieben jedoch nicht.  Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Das sind Jesu Worte. Er wusste, was kommt und ging seinen Weg bewusst und aufrecht, wortmächtig bis zu seinen letzten, qualvollen Atemzügen.

    Jesus von Nazareth – Gottes Sohn ist als Mensch geboren und schließlich auch als Mensch gestorben. Wie die beiden Hingerichteten neben ihm. Wie zahllose andere Opfer menschlicher Gewalt davor und danach. In der johanneischen Fassung der Passionsgeschichte gibt es kein himmlisches Spektakel, die Sonne verdunkelt sich nicht, kein Vorhang zerreißt, die Erde tut sich nicht auf – ein Mensch stirbt, die Welt dreht sich weiter, scheinbar unberührt.

    Es ist vollbracht.

    Eine Lebensgeschichte mit einem Anfang, einem Lebensweg und einem Ende – einerseits zutiefst menschlich. Gleichzeitig aber tritt Jesus fast über den Dingen schwebend auf, schon Richtung Himmel entrückt, noch bevor die Zeit dafür gekommen ist.

    Bei Johannes schillert Jesus schon im Licht der Morgensonne des 3. Tages, noch bevor die Nacht überhaupt hereingebrochen ist. Er strahlt als Licht, das die Dunkelheit überwunden hat, von seinem ersten Tag an. Anfang, das Dazwischen und Ende vermischen sich im vierten Evangelium, alles ist miteinander verbunden und setzt sich gegenseitig in Bewegung, kontrastiert sich, wechselt sich ab.

    Jesus selbst trägt dabei sowohl menschliche als auch göttliche Züge. Beides begegnet sich in ihm in dem Gefühl, das Gott mit den Menschen verbindet und teilt: in der Liebe.
    Gelebte Liebe und schließlich auch gestorbene Liebe. Für seine Freunde. Für die Menschen, für Gottes Schöpfung. Für alle, die unter Ohnmacht und Gewalt und der Unbarmherzigkeit des Todes leiden. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Auch nicht in der Einsamkeit des Sterbens und der Verlassenheit des Todes.

    Dort, an diesem Kreuz auf dem Hügel Golgatha stirbt Gott selbst im Menschen Jesus einen qualvollen Tod. Auch dieses brutale Ende gehört zu seinem Leben dazu. Es folgt kein Aufbegehren, keine Gegengewalt. Niemand kommt und rettet Jesus. Sein Stillhalten, seine wissende Ohnmacht sind schwer auszuhalten, finde ich. Dieser wunderzarte Anfang bei Bethlehem und dieses farbenprächtige und bedeutsame Leben verlangen eigentlich ein ganz anderes Ende.

    Mir fällt es unheimlich schwer, Jesus auf diese Art gehen zu lassen. Das Geschehen auf Golgatha reißt Untiefen auf, es tut weh. Jemanden gehen zu lassen, ist schwer. Maria, Jesus Mutter und ihre Schwester, Maria von Magdalena und der Lieblingsjünger konnten Jesus loslassen im Vertrauen darauf, dass es eines Tages gut werden würde. Sie waren da, mit all ihrer Liebe, bis zum Schluss. Ihre Herzen waren weit genug dafür.

    Liebe ist stärker als der Tod. Sie verwandelt das Ende in einen Anfang.

    Gott ist uns seit Jesus nahe in allem was menschlich ist. Im Hunger und im Durst, in Trauer und Schmerz, Freude und Lust – und ja, auch in der mitunter bedrückenden Stille, die sich an Karfreitag um uns breitet. Vielleicht hören wir, wenn wir ganz ruhig werden, aus der Ferne ein leises, sanftes Säuseln.

    Amen

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