Schön ist es, wenn der Schmerz nachlässt. Dieses verrückt volle Jahr neigt sich langsam dem Ende zu. Der Herbst macht mich zwar (wie in jedem Jahr) ordentlich melancholisch, aber bringt dabei so viel Gutes mit sich, dass ich nur so halb überzeugt traurig in den Seilen hängen kann. Es gibt endlichendlichendlich einen neuen Mitarbeiter im Gemeindebüro und – ich traue es mich kaum zu auszusprechen – die Zusammenarbeit startet gut und macht Spaß. Sein Vorgänger brachte mich des Öfteren dazu, vor Ärger in die Tischkante meines Schreibtischs beißen zu wollen, kein Witz. Ich habe gelernt: Die Chemie der Mitarbeitenden (nicht nur) im Büro muss schon stimmen, sonst wird es schrecklich für alle. Bauchgefühl ist bei Einstellungen total wichtig. Der Vorgänger hat jetzt anderswo eine größere Stelle bekommen, möge es ihm dort gut ergehen. Der Neue bei uns denkt mit, kommuniziert freundlich und klar, findet sich ein, arbeitet strukturiert, ist ruhig und konzentriert, macht Dinge selbstständig leichter – es ist ein wahres Fest.
Die vielen Wochen Weiterbildung außerhalb sind auch an ihr Ende gekommen. Ich merke, dass es sich noch komisch anfühlt, die Gruppe (so tolle, kluge, spannende Leute!) in dieser Konstellation nicht wiedersehen zu werden. Schon auch traurig. Und gleichzeitig wohltuend, dass da eine wichtige und große Sache gut zu Ende gegangen ist. Loslassen ist ja so eine Sache und tendenziell eher nicht meine. Schätze, deshalb mag ich Herbst auch nicht so gerne. Überall Abschied und Vergänglichkeit und Blätter, die fallen und dann traurig auf der Erde liegen. Doch es kann eben auch mal sein, dass es gut ist, wenn etwas vorbei ist. Wenn ein Kreis sich schließt. Wenn dann auch eine Sache weniger jongliert werden muss.
Auch schön an diesem Herbst: Endlich war Zeit Freundinnen-Besuch. In 8 Tagen Urlaub bin ich ganz schön rumgekommen und so auch rausgekommen aus dem Alltags -und Dienst-Trott. Spielen mit kleinen Kindern ist dabei auch äußerst hilfreich, habe ich festgestellt. Einkaufen spielen, Uno, Wellness mit Nägel lackieren und Masken, Fangen, Malen, Puzzeln, Quatsch machen, alles… Mein inneres Kind war gut dabei. Davon bin ich noch ganz beglückt.
Heute war gegen Mittag eine Beisetzung, etwas außerhalb von meiner Gemeinde auf einem schönen, gepflegten Friedhof in der Stadt. Der Verstorbene hatte eine bewegte Lebensgeschichte, eine liebevolle und auch sprachfähige Familie und es gab große Anteilnahme im Freundes – und Bekanntenkreis – so, wie man es sich eigentlich wünscht. Schon auf dem Weg zur Kapelle fällt mir eine ältere Frau auf. Lange weiße, irgendwie wilde und künstlerisch aufgetürmte Haare, ein wacher (skeptischer?) Blick aus Augen mit türkisfarbenen Lidstrich, knallrote Brille. Spannend, denke ich. Nach der Trauerfeier, mittlerweile ist es schon früher Abend, komme ich als Letzte zum Zusammensein der Trauergesellschaft im Restaurant dazu (dazwischen war noch ein Termin in der Gemeinde). Die meisten der Gäste brechen nach Hause auf. Aber die Ehefrau des Verstorbenen und einige Frauen, darunter auch die weißhaarige Dame, bleiben, ich bekomme Getränk und leckere Pasta und wir kommen ins Gespräch. Schnell stelle ich fest, dass ich von ihr schon gehört hatte. Sie war damals dabei, als die Ehefrau ihren Mann kennengelernt hat. Sie und die Witwe sind Cousinen und fast wie Schwestern, beide Jahrgang 1938. Eine der anderen Frauen am Tisch ist aber tatsächlich die (sehr ungleiche) Schwester der Wilden. Sie zischt ihr zwischendurch zu: Kannst du nicht mal deine Haare ordentlich machen? Du siehst aus! Die Wilde lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie erzählt derweil, dass sie mit dem Auto gekommen ist, weil sie den Führerschein jetzt endlich wiederhabe. Was war denn los? frage ich und erfahre: Den hatte sie verloren für ein Jahr, und zwar, weil sie Fahrerflucht begangen hatte. Diese Information verwundert mich nur kurz. Ich gewinne den Eindruck, dieser Frau sei alles zuzutrauen. Jaja, so ist unsere Familie auch! lacht die Witwe. Kurz darauf sprechen wir über Kunst und Museen, über eine neue, lohnenswerte Ausstellung bei uns in der Stadt. Die weißhaarige Dame wohnt woanders, aber auch in ihrer Stadt gibt es ein reichhaltiges Programm. Sie habe aber immer weniger Lust auf den Aufwand dafür. Das sei ihr zu anstrengend. Lieber spiele sie.
Ich bin neugierig und frage: Was spielen Sie denn? Sie antwortet prompt: Computer! Ich falle fast vom Stuhl. Eine 87jährige, die gerne zockt?! Der Hammer! Leider finde ich nicht mehr heraus, was sie gerne spielt. Unser Gespräch wird unterbrochen und bald darauf verabschiedet sie sich, um mit dem Auto weiter zur Tochter des Verstorbenen zu fahren. Sie schließt sich anderen aus der Gruppe an, die den Weg kennen. Sie selbst hat kein Navi. Auch das wundert mich nicht. Diese Frau, da bin ich mir sicher, findet ihren Weg auch so.