ploetzlichpfarrerin

  • Herbst 2025

    Oktober 30th, 2025

    Schön ist es, wenn der Schmerz nachlässt. Dieses verrückt volle Jahr neigt sich langsam dem Ende zu. Der Herbst macht mich zwar (wie in jedem Jahr) ordentlich melancholisch, aber bringt dabei so viel Gutes mit sich, dass ich nur so halb überzeugt traurig in den Seilen hängen kann. Es gibt endlichendlichendlich einen neuen Mitarbeiter im Gemeindebüro und – ich traue es mich kaum zu auszusprechen – die Zusammenarbeit startet gut und macht Spaß. Sein Vorgänger brachte mich des Öfteren dazu, vor Ärger in die Tischkante meines Schreibtischs beißen zu wollen, kein Witz. Ich habe gelernt: Die Chemie der Mitarbeitenden (nicht nur) im Büro muss schon stimmen, sonst wird es schrecklich für alle. Bauchgefühl ist bei Einstellungen total wichtig. Der Vorgänger hat jetzt anderswo eine größere Stelle bekommen, möge es ihm dort gut ergehen. Der Neue bei uns denkt mit, kommuniziert freundlich und klar, findet sich ein, arbeitet strukturiert, ist ruhig und konzentriert, macht Dinge selbstständig leichter – es ist ein wahres Fest.

    Die vielen Wochen Weiterbildung außerhalb sind auch an ihr Ende gekommen. Ich merke, dass es sich noch komisch anfühlt, die Gruppe (so tolle, kluge, spannende Leute!) in dieser Konstellation nicht wiedersehen zu werden. Schon auch traurig. Und gleichzeitig wohltuend, dass da eine wichtige und große Sache gut zu Ende gegangen ist. Loslassen ist ja so eine Sache und tendenziell eher nicht meine. Schätze, deshalb mag ich Herbst auch nicht so gerne. Überall Abschied und Vergänglichkeit und Blätter, die fallen und dann traurig auf der Erde liegen. Doch es kann eben auch mal sein, dass es gut ist, wenn etwas vorbei ist. Wenn ein Kreis sich schließt. Wenn dann auch eine Sache weniger jongliert werden muss.

    Auch schön an diesem Herbst: Endlich war Zeit Freundinnen-Besuch. In 8 Tagen Urlaub bin ich ganz schön rumgekommen und so auch rausgekommen aus dem Alltags -und Dienst-Trott. Spielen mit kleinen Kindern ist dabei auch äußerst hilfreich, habe ich festgestellt. Einkaufen spielen, Uno, Wellness mit Nägel lackieren und Masken, Fangen, Malen, Puzzeln, Quatsch machen, alles… Mein inneres Kind war gut dabei. Davon bin ich noch ganz beglückt.

    Heute war gegen Mittag eine Beisetzung, etwas außerhalb von meiner Gemeinde auf einem schönen, gepflegten Friedhof in der Stadt. Der Verstorbene hatte eine bewegte Lebensgeschichte, eine liebevolle und auch sprachfähige Familie und es gab große Anteilnahme im Freundes – und Bekanntenkreis – so, wie man es sich eigentlich wünscht. Schon auf dem Weg zur Kapelle fällt mir eine ältere Frau auf. Lange weiße, irgendwie wilde und künstlerisch aufgetürmte Haare, ein wacher (skeptischer?) Blick aus Augen mit türkisfarbenen Lidstrich, knallrote Brille. Spannend, denke ich. Nach der Trauerfeier, mittlerweile ist es schon früher Abend, komme ich als Letzte zum Zusammensein der Trauergesellschaft im Restaurant dazu (dazwischen war noch ein Termin in der Gemeinde). Die meisten der Gäste brechen nach Hause auf. Aber die Ehefrau des Verstorbenen und einige Frauen, darunter auch die weißhaarige Dame, bleiben, ich bekomme Getränk und leckere Pasta und wir kommen ins Gespräch. Schnell stelle ich fest, dass ich von ihr schon gehört hatte. Sie war damals dabei, als die Ehefrau ihren Mann kennengelernt hat. Sie und die Witwe sind Cousinen und fast wie Schwestern, beide Jahrgang 1938. Eine der anderen Frauen am Tisch ist aber tatsächlich die (sehr ungleiche) Schwester der Wilden. Sie zischt ihr zwischendurch zu: Kannst du nicht mal deine Haare ordentlich machen? Du siehst aus! Die Wilde lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie erzählt derweil, dass sie mit dem Auto gekommen ist, weil sie den Führerschein jetzt endlich wiederhabe. Was war denn los? frage ich und erfahre: Den hatte sie verloren für ein Jahr, und zwar, weil sie Fahrerflucht begangen hatte. Diese Information verwundert mich nur kurz. Ich gewinne den Eindruck, dieser Frau sei alles zuzutrauen. Jaja, so ist unsere Familie auch! lacht die Witwe. Kurz darauf sprechen wir über Kunst und Museen, über eine neue, lohnenswerte Ausstellung bei uns in der Stadt. Die weißhaarige Dame wohnt woanders, aber auch in ihrer Stadt gibt es ein reichhaltiges Programm. Sie habe aber immer weniger Lust auf den Aufwand dafür. Das sei ihr zu anstrengend. Lieber spiele sie.

    Ich bin neugierig und frage: Was spielen Sie denn? Sie antwortet prompt: Computer! Ich falle fast vom Stuhl. Eine 87jährige, die gerne zockt?! Der Hammer! Leider finde ich nicht mehr heraus, was sie gerne spielt. Unser Gespräch wird unterbrochen und bald darauf verabschiedet sie sich, um mit dem Auto weiter zur Tochter des Verstorbenen zu fahren. Sie schließt sich anderen aus der Gruppe an, die den Weg kennen. Sie selbst hat kein Navi. Auch das wundert mich nicht. Diese Frau, da bin ich mir sicher, findet ihren Weg auch so.

  • Planung ist alles

    August 4th, 2025

    Es ist geschickt, Jahresplanungen früh zu machen. Im Herbst 2024 meinte ich, dass ich von 2025 schon eine ganz gute Vorstellung hatte. Sogar ein großer und lang ersehnter Urlaub war schon mitbedacht und gebucht. Ich war ein bisschen stolz. Dass ich wieder Mentorin sein würde wusste ich schon und freute mich darauf.

    Anfang Dezember bemerkte ich, dass meine ewige Weiterbildung statt der angenommenen drei ganze sechs Wochen in Anspruch nehmen würde, plus der nicht wenige Aufwand für den Kurs dazwischen, neben dem Dienst. Dazu dann der große Urlaub. Eine Vikarin. Und das ganz normale Leben in der Gemeinde mit allem, was dazu gehört. Plötzlich war das ein ziemlich ehrgeiziger Jahresplan geworden. Oder wahlweise ein ziemlich bescheuerter.

    Es ist bezeichnend für 2025, dass ich erst jetzt wieder hier zum Schreiben komme. Aber immerhin, das Jahr hat mich trotz der großen Action bisher nicht völlig platt bekommen. Thank god. Aber wirklich.

    Es war ungefähr so: NeujahrkurzPauseamMeerdannTrubelinGemeindeKurswocheBesuchZugfahrenhierhinZugfahrendorthinBauplanungGottesdiensteFreundinnenBabiesfeiernundguckenKurswocheZugfahrenWochenendewegSeminarOstertrubelKonfizeitKonzerteNeueChorleitungesuchtStellenausschreibungBewerbungsgesprächeTheaterReconnectenmitliebenMenschenKonfirmationGottesdiensteKurswocheZugfahrenneuerOrteingewöhnenGeburtstageBürowutanfälleSupervisionElternheiratenneuVikarinkrankKurswocheZugfahrenStadtfestTelefonierenBesucheplanenWasmachtdasBabyPresbyteriumswuseleiBaudingeNeinsagenzuPrüfungsanfragenFundraisingLesenvontheorieVorsitzenderkrankNeueKonfisKirchturmuhrkaputtGremienWoistdieVikarinMegatollerUrlaubmitFreundundFreundinnenbesucheninderFerneAbschiedsstrauerDieBürokrafthateinenneuenJobwoandersGrenzeAutofahrenaufeinemHighwayfastinNYnichtdasrichtigeWoodstockVielebeisetzungendaruntereinsuizidVieletaufenvieleGesprächewergehörteigentlichwohinundmerkeichmirdasBaudingePfarrkonventbeiunsWieschönisteshierdennEndlichmehrmusikZeltenKonfiskalterkältungaberzufriedenunderfüllt.

    Und jetzt? Ist Sommerpause……. Hach ja. Euch allen eine gute Zeit und bis hoffentlich bald mal wieder hier!

  • … oder für immer schweigen?

    November 14th, 2024

    Der Pfarrberuf ist ein Sprechberuf. Wie sehr dem tatsächlich so ist fällt mir erst seit letztem Sonntag auf. Da hat mich auf dem Höhepunkt einer dichten und auch aufregenden Woche meine Stimme verlassen. Bisher ist sie nicht wieder aufgetaucht. Diagnose: Kehlkopfentzündung. Also Sprechverbot, Stimme schonen, in Ruhe gesund werden.

    Am Wochenende tagte das Presbyterium. Am Samstag klang meine Stimme sexy und verraucht und wurde im Laufe der Sitzung immer tiefer. Einen Tag später klang gar nichts mehr. Eigenartig war das, als einzige nicht sprechen und kaum auf sich aufmerksam machen zu können. Jemand musste neben mir sitzen und “ins Laute” übersetzen. Hin und wieder ruderte ich wild mit den Armen. Eine Älteste wunderte sich zwischendurch, welche getuschelten Geheimnisse ich denn gerade mit der Nachbarin teilen würde. Es gab viele schöne Momente. Zum Abschluss der Sitzung leitete die Vorsitzende zum Vater Unser über, aber den Segen brachte sie nicht über die Lippen. Aber ich, flüsternd und die anderen ganz leise lauschend. Hatte ich so auch noch nie.

    Am Dienstag saß ich morgens beim Arzt und der halbe Ort ebenso. In meiner Ecke wartete ebenfalls eine Mitarbeiterin der Kita. Ich versuchte nicht die ganze Zeit zu husten und hustete natürlich die ganze Zeit. Lange mussten wir warten. Es war nicht schön. Wie aus dem Nichts stand plötzlich eine Frau aus der Gemeinde vor mir. Typ pragmatische, fromme Bäuerin. Sie begrüßt mich und will mir die Hand geben. Ich flüstere und gestikuliere kopfschüttelnd: Guten Tag. Ich geb lieber nicht die Hand, ich bin krank. Sie sagt: Macht nix und streckt mir Ihre Hand entgegen. Ich starre auf die Hand und nehme sie nicht. Dann beginnt die Frau zu erzählen von einer Beisetzung einer Bekannten und ob ich davon wisse und die Frau kenne und ob mir Frau X davon denn nichts erzählt hätte. Ich versuche ihr zwischendurch zu kommunizieren, dass ich nicht sprechen kann. Macht nix sagt sie wieder und erzählt noch ein bisschen. Dann endlich verabschiedet sie sich und geht und lässt mich in eigenartiger Verfasstheit zurück. Pfarrerin ohne Stimme. Für manche ist das vielleicht auch eine Chance.

    Analoge Begegnungen ohne Stimme sind also schwierig. Auch digital ist es nicht viel besser. Ein paar Zoom-Sitzungen ließen sich nicht vermeiden. Die Chatfunktion ist natürlich praktisch für mich. Aber blicken dabei nicht alle ständig in den Chat. Wieder rudere ich viel mit den Armen, um in meinem kleinen Fensterchen auf mich aufmerksam zu machen. Scheinbar ist das der move dieser Tage. Rudern und winken.

    Unterhaltsam sind auch text to speech-Apps. Da kann man den Sound der Stimme einstellen. “Grandpa” z.B. klingt original wie Stephen Hawkins bei Big Bang. Gespräche am Abendbrottisch bekommen so eine ganz eigene Note.

    Im Predigerseminar wurde mir irgendwann mal ein “sprechendes Gesicht” attestiert. Das kommt in diesen Tagen nochmal ganz neu zum Einsatz. Zusammen mit den Armen bildet es bestimmt ein wahres Dreamteam und spricht ganz für sich selbst.

    Ihr lieben Lesenden – habt es gut, bleibt gesund und munter!

  • Besser als Klassentreffen

    September 23rd, 2024

    Dieses Jahr ist das Jahr der runden Geburtstage. Viele meiner Freundinnen und Freunde sind 40 geworden, im August habe auch ich vergnügt gefeiert (Garten, Musik, Feuerschale, Tanz, Karaoke bis die Polizei kam).

    Es gibt nicht wenige Pfarrer:innen im Kreis meiner Lieben, sie sind über alle Landeskirchen verstreut. Zwischen uns liegen mindestens mehrstündige Reisen und in zwei Fällen der Atlantik. Das allein macht es mit dem Zusammenkommen herausfordernd. Noch komplizierter machen es jedoch die Terminkalender. Spontan ein gemeinsam dienstfreies Wochenende zu finden ist unmöglich. Letztens machte ich dienstlich Termine für 2027. 2027!!! Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben so langfristig durchgetaktet sein würde und ja, es macht ein komisches Gefühl. Auch die unterschiedlichen Ferienzeiten machen es schwer sich gegenseitig zu besuchen. Bei so manchem Wiegenfest konnte ich nicht dabei sein. Nicht alle konnten zu meiner Sause kommen. Es ist kompliziert. Mir ist bewusst, dass das für wahrscheinlich alle erwachsenen Menschen mit Arbeit/Familien/und so gilt. Trotzdem frage ich mich, wie das Leben mit regelmäßig zwei freien Tagen in der Woche aussehen würde. Mit weniger Abendterminen. Mit weniger Verantwortung. Mit mehr Spielraum.

    Der 40. Geburtstag löst bei manchen ja große Sinnkrisen aus. Beim Wort Krise muss ich immer an diese eine Postkarte denken: Ein Typ im Anzug sitzt in einem Zimmer an einem Tisch, um ihn herum unendlich viele Flaschen (Bier, Wein, alles Mögliche), auf dem Tisch, auf dem Boden, in den Regalen und dazu die Worte “Krise? Welche Krise?” So fühle ich mich nicht. So viel trinke ich auch nicht. Aber ich bemerke, wie sich mir manche Fragen öfter und dringender stellen (siehe oben). Und ich vermute, das hat schon was mit dem (Dienst-) Alter zu tun.

    Dieses Wochenende hatte ich aber, bis auf einen Geburtstagsbesuch, dienstfrei und konnte tatsächlich auf eine Party anlässlich eines 40. gehen. Fantastisch! Svenja, die ebenfalls aus meiner Heimatstadt kommt, hatte eingeladen. Mit Svenja war ich ab 1997 in einer Klasse. Wir sangen damals in einem Jugendchor, hingen im Freizeitclub der Gemeinde herum und gründeten in der Oberstufe gemeinsam mit Maria (die ein Jahrgang über uns war) eine Band.

    Ich weiß noch wie tief beglückt ich war, als wir uns das überlegt hatten. Als unsere Musik Gestalt annahm. Plötzlich war da etwas Neues in der Welt, mit einem eigenen Klang, einer eigenen Gestalt, etwas das es vorher noch nicht gab. Irre. Ich hatte immer etwas gehofft, wir würden mit der Band den Durchbruch schaffen. Seit wir zum Studium in unterschiedliche Städte gezogen waren hatten wir immer weniger miteinander zu tun, das war auch ok so. Jede hat ihr Ding gemacht. Svenja ist Physikerin geworden, Maria Sozialarbeiterin.

    Jetzt, 20 Jahre später (diese zeitlichen Dimensionen schockieren mich so sehr!), wohnen wir wieder näher beieinander und wir verabreden uns hin und wieder. Zuletzt haben wir uns im April auf Marias 40. Geburtstag gesehen. Diese Begegnungen sind immer auch etwas eigenartig. Vieles aneinander ist vertraut, die Stimme, das Aussehen, bedeutsame Erinnerungen – aber so viel ist dazwischen passiert, so viel Leben. Ich kannte Svenja und Maria als Jugendliche. Jetzt, mit 40, lerne ich sie noch einmal neu kennen und es ist berührend, spannend, manchmal traurig, oft auch einfach schön. Auf der Party zu Svenjas Rundem an diesem Wochenende lernte ich nun endlich ihr vierjähriges Kind kennen (und Svenja als Mutter), Freundinnen und Freunde aus ihrem Studium, die junge Nachbarschaft, Kolleg:innen und einen Haufen Kinder, die dazugehörten. Auch toll und spannend, das alles einfach mal wahrnehmen zu können. Svenjas Leute. Svenjas Lieben, Svenjas Leben heute. Und auch: Svenjas Erinnerungen, die sie mit Maria und mir teilt. Irgendwann spät am Abend kamen wir neben Schule und Co. auf unsere Band, auf dieses eine Festival mit diesen anderen aufstrebenden Bands, wie wir dort spielten und für das Abi lernten.

    Svenja flitzte plötzlich ins Kinderzimmer und kam kurz darauf mit mehreren liebevoll gestalteten Bastelsets für unser letztes Album inklusive CDs wieder. Ein Cover mit Fotos von uns als wir 19 Jahre alt waren. So jung! For years. Wie kam es eigentlich zu diesem Titel? 12 Lieder hatten wir damals aufgenommen. Songs von Maria, von Svenja und von mir. Ich hatte tatsächlich vergessen, dass es diese schönen Bastelsets gab ( Maria: “Die hat mein Vater gemacht!”). Wo waren die bloß bei mir gelandet? Und wie würde man diese CD anhören können? Ich habe gar keinen CD-Player mehr, außer in meinem Auto.

    Spät abends fahre ich Maria nach Hause. Es läuft (Überraschung) unsere alte Band. Wir sind beide aufgeregt, ich bin sogar nervös. Wird mir das noch gefallen? Wie klingen wir? Was wird diese musikalische Zeitreise mit mir machen? Es dauert keine zwanzig Sekunden und wir können mitsingen. Mit den richtigen Texten, den passenden Einsätzen und Melodien. Es wird eine emotionale Fahrt. Und eine Begegnung mit meinem 19jährigen Ich. Gleich aus dem ersten Lied klingt mir jene herrliche, kraftvolle und gleichzeitig leicht melancholische Aufbruchstimmung entgegen, die ich mit dem Sommer nach dem Abi verbinde. Ich bewundere Svenjas tiefsinnige Texte und ihren klaren Gesang. Marias Lachen ist zu Beginn des einen Songs zu hören, es ist mir immer noch so vertraut. Dass sie nun neben mir sitzt und wir gemeinsam lachen und auch die eine oder andere Träne verdrücken ist besonders.

    /Dieses Lied mochte meine Mutter immer besonders. / Als ich dieses Lied geschrieben hab war ich so krass verliebt in diesen einen Typen – Waren wir nicht immer verliebt in irgendwelche Typen?! / Da wusstest du schon, was du studieren würdest! / Wir müssen Svenja eine Sprachmemo schicken und mitsingen! /. Wie toll sind bitte schön diese Harmonien? / Warum habe ich nicht öfter Klavier gespielt?/ Du singst so schön!!/ (…)

    Ich bin stolz auf diese Musik, auf das, was wir da (so jung!) gemeinsam erschaffen haben. Auch auf mich selbst. Schönes Gefühl. Versöhnlich, tröstlich irgendwie. Und es zeigt wieder einmal wie verbindend Musik ist und wieviel sie vermag. Wir haben ein Revival der Band beschlossen. Das Glücksgefühl setzt schon ein. Irre. Und wunderbar.

  • Franka

    Juli 26th, 2024

    Als du damals zu mir gekommen bist warst du sieben Jahre alt. Klein und schwarz und eigen. Das mochte ich. Auf dem Weg vom Tierheim ins Pfarrhaus und in der ersten Nacht in deinem neuen Zuhause hast du so viel und so laut gemauzt, dass ich mich gefragt habe ob das mit uns wirklich eine gute Idee war. Auf den ersten Fotos von dir sieht man nur einen verwischten schwarzen Schatten – du bist ständig durch die Wohnung gelaufen, von einem Zimmer zum anderen. Damals hatte ich großen Kummer. Und dann, als ich einmal an die Heizung gelehnt heulend auf dem Boden saß, bist du wie selbstverständlich auf meinen Schoß geklettert, hast dich streicheln lassen und wurdest ruhiger. Und ich wurde auch ruhiger.

    Mit der Zeit bist du in die Rolle der Pfarrkatze hineingewachsen und du hast sie mit Eleganz und Stolz gelebt. Hast dich bewundern lassen von den alten Damen aus der ersten Gemeinde, ab und an ein Stück Brötchen oder Kuchen in der Küche unten bekommen, dich kurz streicheln lassen und dann bist du mit deiner Beute schnell wie der Blitz nach oben abgehauen. Manchmal warst du auch beim Seniorenkreis dabei und bist den Leuten um die Beine gestrichen. Wie selbstbewusst und stilsicher du dabei warst! Ich glaube, die Aufmerksamkeit hast du genossen und sie galt dir ganz zu Recht. So eine schöne Katze! Auch im Fernsehen warst du schon zu sehen, elegant in der Sonne hingeräkelt.

    Den Garten dort hast du geliebt. Eine richtige Freigängerin ist nicht aus dir geworden, aber du warst gerne mit mir draußen, in der Hängematte oder oben im Apfelbaum. Ich höre noch das Geräusch, dass du beim Hochklettern mit deinen Tatzen gemacht hast. Wie schnell du dabei warst! Zwischen den vielen Blättern und Äpfeln warst du da oben manchmal kaum zu finden. Da wirktest du immer hochzufrieden mit dir und der Welt. Ich sehe dich auch durch den Garten springen und sprinten, wenn ich nach dir gerufen habe. Wie ein sehr dunkler, fröhlicher Hase.

    Und ich höre dich mauzen. Das hast du schon gemacht, wenn ich unten mit dem Auto angekommen bin. Laut und energisch. Den Klang von Ulf hattest du verinnerlicht. Und ich den Klang deiner Stimme. Ich habe mich gerne von dir rufen lassen.

    Irgendwas musst du früher erlebt haben – du hattest Angst vor Kindern und vor Männern. Es war immer etwas Besonderes, wenn du dann doch Vertrauen gefasst hast (nicht ohne Einsatz von vielen Leckerlis, versteht sich von selbst). Doch bei Gewitter oder anderem Krach draußen bist du ganz cool geblieben. Nur bei Musik hast du meistens den Raum verlassen. Bisschen badass warst du schon auch.

    Mit meiner Mutter konntest du richtig gut. Sie hat oft und gerne auf dich aufgepasst, wenn ich mal wieder unterwegs war auf Konventsfahrten, Konficamps oder im Urlaub. Auch meine Oma hast du kennengelernt, kurz bevor sie nicht mehr reisen konnte. Weißt du noch der lange Abend auf der Veranda mit dem Feuer?

    Der Umzug in die große Stadt war für uns beide nicht leicht. Aber wir haben es uns auch dort schön gemacht. In der Hängematte auf dem Balkon. Auf dem Sofa, du auf meinem Schoß, schnurrend, tretelnd. Du warst zwar nicht beim Seniorenkreis dabei, aber alle wussten von dir. Manchmal habe ich von dir erzählt, in Predigten oder Andachten oder einfach so. Du hast Geschenke bekommen aus der Gemeinde und Briefe mit Grüßen.

    Franka. Es ist still in der Wohnung ohne dich. In jedem Schatten halte ich nach dir Ausschau. Du fehlst.

  • Seniorenheim, Meer und (verborgene) Schätze

    Juni 18th, 2024

    Einmal im Monat halte ich Andacht im Seniorenheim. Eine Ehrenamtliche aus der Gemeinde, Simone, begleitet mich dabei immer und ich bin froh, dass sie es tut. Simone ist jetzt 66 und schafft um sich herum eine herrlich unbeschwerte und fröhliche Grundstimmung. Seit sie da ist wird bei den alten Leuten viel mehr gelacht. Und die wilden Geschichten kommen raus. Kur, Kurschatten, Waldböden – ich ahnte es ja nicht. Kuren scheinen die Spring Breaks des Alters zu sein. Simone hat selbst schon Einiges durch: Scheidung, Krebs, Verlust, nochmal Krebs, nochmal Verlust. Sie hatte ihre Zeit der Trauer und seit zwei Jahren startet sie bei uns in der Gemeinde durch mit Energie und Lebensfreude – es ist ein wahres Fest. Und: Simone hat ein Herz für die Alten.

    Mit Simone zusammen gehe ich also einmal im Monat ins Seniorenheim. Der Weg ist kurz, wir brauchen höchstens fünf Minuten. Sie trägt dabei meine Gitarre über der Schulter wie ein Roady und sieht gut dabei aus. Ich trage Bücher, Bluetoothbox, Kerzen und was wir sonst noch brauchen. Wenn ich mal 66 bin will ich ihren Style haben.

    Das Seniorenheim nennt sich Residenz und strahlt nach außen Würde und Eleganz aus. Es gibt den Teich, die Statuen im blühenden Garten, die großen und etwas dunklen Bilder von bedeutenden Menschen in den Fluren. All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns zur Andacht im Sportraum im Keller versammeln. Es gibt keine Kapelle, keinen Raum der Stille. Keinen Ort für Einkehr. So viel zur Würde nach innen. Wenn Simone und ich ankommen sitzen die Anwohnenden meistens schon dort und warten. Natürlich nur, wenn die eine Mitarbeiterin (Gemeindeglied aus der Nachbarschaft) Dienst hat und sie alle einsammelt. Mittlerweile sind die meisten uns schon vertraut. Ich freue mich, sie zu sehen.

    Da gibt es die Dame, die ganz fit und redebegeistert ist, aber mit der Betreuungssituation für nicht-demente Leute im Haus unzufrieden ist und wirklich finster gucken kann, wenn sie darüber spricht. Da ist eine ehemalige Ärztin, die die meisten Lieder auswendig kann, ein eigenes Gesangbuch dabei hat und immer ganz aufmerksam zuhört. Sie ist traurig darüber, dass sie nicht mehr so singen kann wie früher. Ich würde gerne wissen was sich hinter ihren wachen Augen abspielt. Es gibt einen Herrn, der singt und summt einfach die ganze Zeit – egal ob gerade eigentlich gelesen oder erzählt, gebetet oder zusammen gesungen wird. Manchmal trifft er dabei auch die Melodie, aber meistens singt er sein eigenes Lied. Dissonanzen stören ihn null. Wie macht er das bloß? Ein Ehepaar ist noch relativ frisch da. Sie sind zusammen eingezogen, ihr geht es sichtbar schlechter als ihm: Rollstuhl, Abwesenheit, abweisender Ausdruck und das ziemlich durchgängig. Er ist zugänglich, nimmt Anteil und kümmert sich rührend um sie.

    Freitag war ich also wieder dort. Mit Simone. Und einer Traumreise ans Meer inklusive Wellenrauschen für die Ohren und Muscheln zum Spüren. Allen hat die Erinnerung an das Meer gut getan, es war berührend zu sehen und zu hören. Auch der Mann der kranken Frau blühte auf und erzählte von ihren Reisen als Paar und lächelte bei den Erinnerungen daran. Immer wieder tippte er seine Frau an und fragte Weißt du noch? oder Wo war das nochmal? Uff. Mit so wenig Reaktion muss man erstmal umgehen können. Kaum ein Kopfschütteln brachte sie zustande. Bis es an der Tür klopfte und ein junger Mann verlegen den wuscheligen Kopf zur Tür reinsteckte und den beiden zuwinkte. Bei seinem Anblick hellte sich ihr Gesicht auf, sie fand Worte, soviel Bewegung war auf einmal in dieser starren Frau, es war wie ein kleines Wunder. Das ist unser Enkel, erklärte der Mann. Der Enkel kam kurz rein, holte den Schlüssel. Wir kommen gleich hoch. Großes Strahlen und Aufbruch. Was Liebe so alles bewirken kann, es ist herrlich.

  • Unverhofftes Glück

    April 15th, 2024

    Gestern Abend gegen 20 Uhr lehnte ich mich gegen die samtigblaue Rückenlehne einer Sitzbank im Restaurant und schloss kurz die Augen. Mein Nachbar von rechts sprach mich an: „Du lächelst ja gerade so versonnen…“ Das Lächeln hatte ich gar nicht bemerkt. Vielleicht vor Müdigkeit. Vielleicht vor Überraschung.

    Denn Danach sah der Beginn der Woche überhaupt nicht aus. Nach Ostern hatte ich ein paar Tage Urlaub und ein schönes Wochenende mit dem Freund verbracht. Rauskommen, Städtetrip, Zweisamkeit – es war herrlich. Wobei die Unbeschwertheit von ein paar Nachrichten aus der Gemeinde (Konfi, Konfimutter, Konfi-Freizeit, Konfi-Drama über Messenger) gedämpft wurde. Hätte ich mal die Benachrichtigungsfunktion am Handy ausgeschaltet! Die Landung zurück im Alltag war dann, wie immer nach freien Tagen, holprig. Als hätte ich eben noch fröhlich auf dem Spielplatz geschaukelt und müsste nun mit den Füßen bremsen und aufstehen und lame zurück nach Hause und dann zum Zahnarzt, oder so. Am Dienstagmorgen wachte ich auf, stellte fest, wo und wann ich war und begann den Tag mit einem lauten „Neee“. Vor mir lag die Planung der Konfifreizeit, die unter keinem guten Stern stand. Ein Elternabend für den neuen Jahrgang. Ein Problemgespräch mit Konfi-Mutter und Konfi und drumherum das normale Gemeindeleben-Gewusel mit Büro, Orga und Kreisen.

    Dass es seit Weihnachten hier und dort Reibungen mit der (älteren) Jugend gab, hatte ich schon geschrieben. Auch bei den Konfis haperte es ziemlich, vor allem gruppendynamisch. Irgendwie war es uns nicht gelungen, ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Die Jugendlichen sind super unterschiedlich und zu großen Teilen in 2er-beste-Freund:innen-Teams unterwegs und obendrauf hat die Gruppe noch ein paar Einzelne (teilweise mit special needs), die keinen Anschluss finden konnten. Mit der ganzen, „großen“ Gruppe fremdelten alle und niemand hatte Lust auf die Freizeit, ich tatsächlich auch nicht. Dem einen Konfi, der sich weigerte mitzukommen (das beginnende Drama im Urlaub), konnte ich kaum einen Vorwurf machen.

    Ich habe viel überlegt, woran das liegen könnte, was verändert werden müsste. Und stellte fest, dass meine aufmüpfige JG vielleicht doch Recht hatte (…), und das Monatsmodell (wie wir es gestaltet haben) wirklich nicht mehr passt. Es braucht mehr Begegnungen, kürzere Abstände. Hier wird nun also etwas Anderes ausprobiert: 14-tägig unter der Woche, zwei Stunden, mal sehen wie das wird. Der Schritt dahin ist mir nicht leicht gefallen. Rahel meinte bei einem unseres vielen Gespräche darüber: Kill your darlings. Ich fand das Monatsmodell immer so toll! Wirklich! Seit meinem Vikariat, wo das an manchen Orten noch neuer, heißer Scheiß war. Dass ich jetzt an Punkte komme, in denen mein „heißer Scheiß“ nicht mehr passt, ist höchst eigenartig. Andererseits: Die Dinge sind ja ständig im Fluss und verändern sich. Corona hat Sachen gemacht. Die Weltlage macht Sachen. Und jeder Jahrgang ist anders. Und ich hab schon lange Lust auf Veränderung und Bewegung in der Gemeinde – ich hatte den Raum dafür nur an anderer Stelle vermutet. Wie man im Dienst wirklich nie aufhört zu lernen, irre! Ich bin dankbar, dass das Presbyterium die Entscheidung mitträgt, ebenso der Diakon, die Teamer:innen der JG und die Eltern der neuen Konfis. Es brauchte einen Moment, bis ich das darüber entstandene Gefühl benennen konnte: Es war neben einer großen Erleichterung auch: Vorfreude.

    Die aktuelle Gruppe wird davon nicht mehr profitieren können. Dafür hatten sie nun ein Wochenende mit voller Dröhnung Gemeinschaft. Eine relativ weite Anreise mit Öffentlichen, lange Abende mit den Werwölfen (es wird einfach nie schlecht), ein anderer Ort, Handys nur auf den Zimmern, Lagerfeuer. Thema Geist/Gemeinschaft/Abendmahl (Korinth und so) – es hat gepasst und die Jugendlichen hatten eine gute Zeit und waren auch in den Pausen zusammen unterwegs, haben gespielt, waren spazieren, haben zusammen Quatsch gemacht, am Ende eine super schöne Andacht gefeiert. Auch das war so überhaupt nicht absehbar. Und so schön für die Jugendlichen. Gott sei Dank!

    In der Jugendherberge gab es für mich darüber hinaus einen weiteren Glücksmoment: Einige Kolleg:innen aus meinem ersten Kirchenkreis waren wegen einer Tagung auch dort und es gab beim Mittag ein Wiedersehen nach fast sechs Jahren. Vor lauter Umarmen und Erzählen bin ich kaum zum Essen gekommen. Ich hab ich so gefreut, sie wiederzusehen. Ein wenig Nostalgie und Wehmut war auch dabei. Die ersten Jahre im Dienst sind besonders. Für mich waren sie sehr schön, auch und gerade wegen der Menschen, mit denen ich gemeinsam unterwegs war und die mich auf die eine oder andere Weise bis heute begleiten.

    Die Müdigkeit nach dieser Woche und diesem Wochenende war entsprechend groß. Aber auch die Zufriedenheit und Dankbarkeit. Mit dem Freund war ich abends noch bei einem Konzert von befreundeten Musikern – Brahms, Messiaen, Pärth.. Trotz meines leicht dämmrigen Zustand war auch das intensiv und bereichernd. Der gemeinsame Restaurantbesuch mit den Freunden im Anschluss setzte all dem noch die Krone auf. Gutes Essen, eine vergnügte Gemeinschaft, Musik, Liebe und so viel unverhofftes Glück. Ich lehnte mich zurück, schloss kurz die Augen und genoss.

  • Abschiede

    März 6th, 2024

    Letztes Jahr um die Zeit habe ich mich gewundert, dass so wenig Beisetzungen waren. Mir kam das so komisch vor, dass ich sogar schon Vertretungen für Kolleg:innen aus dem Kirchenkreis übernommen habe. So viel „freie“ Zeit ist ja eigentlich nie. In diesem Jahr gibt es hingegen keinen Grund zu Wunderei, ich könnte gefühlt gleich auf dem Friedhof bleiben.

    Es ist eigentümlich, so unterschiedliche Abschiede zu begleiten. Wie verschieden Familien mit Trauer umgehen. Überhaupt wie das Leben so spielen kann und welche Geschichten es schreibt.

    Da war die Frau, die als Mädchen den gleichen Nachnamen wie meine Großeltern getragen hat und die sogar zeitweise in meiner Heimatstadt gearbeitet hat. Auf dem Foto erinnerte sie mich (natürlich…) an meine Großmutter. Auf dem Rückweg vom Grab hatte ich auch feuchte Augen.

    Da war ein Mann, dessen Mutter und Schwester auf dem Friedhof seine hinterbliebene Ehefrau nicht (er-)kannten (möglicherweise, weil sie sie unter den anderen schwarzen Trauernden nicht ausmachen konnten). Das Schweigen war groß und bedrückend in dieser Familie.

    Da war die Mutter, die immer alles in perfekter Ordnung hatte, aber niemanden spontan in die Wohnung lassen wollte. Ein Kamm durfte nicht fehlen, auch bei der Tochter nicht.

    Der Schuldirektor, der kurz vor seinem Ruhestand plötzlich verstarb und so den halben Ort hier in Aufruhr brachte. So viel Arbeit und Aufregung wegen einer einzigen Trauerfeier hatte ich noch nie.

    Der alte Landwirt, der nach einem schweren Jahr lange nicht sterben konnte und es nun endlich geschafft hat. Die rotgeweinten Augen seiner Frau. Die drei (längst erwachsenen) Kinder, die plötzlich so jung wirkten.

    In den nächsten vier Wochen wird mich eine Studentin im Praktikum begleiten. Nach ihrer Heimatgemeinde ist diese Gemeinde die zweite, die sie näher kennenlernt. Ich frage mich wie das für sie ist, diese Gemeinde neu zu entdecken. Mit ihren Gemeindegliedern, Themen, Mitarbeitenden und mit der Pfarrerin, die im Sommer sechs Jahre auf der Pfarrstelle sein wird. Es wird langsam absehbar, wie mein Dienst sich auf die Gemeinde auswirkt und auch wie die Gemeinde sich auf mich auswirkt. Im Pfarrdienst lernt man mit Haut und Haaren und es hört nie auf.

    Ich gewöhne mich noch daran, nicht mehr „jung“ zu sein, auch wenn manche es mir anders spiegeln. Ich weiß es nämlich besser. Denn: Die Gen Z finde ich (bisher) richtig dolle komisch. Diese Beschwerdehaltung. Diese Erwartungshaltung. Diese Arbeitsmoral, orrrrrrrrr. Könnte ich mich aufregen und mache es auch gemeinsam mit anderen Irritierten/Verzweifelten/Angenervten/Abgehängten(?), wo es sich ergibt.

    Beginnt jetzt bei mir das, was ich früher bei Älteren so naserümpfend beobachtet habe? Das Bashen der Jugend? Und ist die dreijährige (coole und anspruchsvolle) Weiterbildung, die ich seit 2023 mache wirklich so schlau, wenn sie mich dann in die Ausbildung von Vikar:innen bringt? Die sind doch alle besserwisserisch und garstig und posten dann bei Insta und Co., wie unfähig sie alle(s) finden und dass sie die einzige Chance sind, um Kirche zu retten und alles vor ihnen war großer Murks. Natürlich war ich selbst IMMER frei von solcher Hybris (hust- hust). Es ist kompliziert…

    Ich bin gespannt auf diese Wochen mit der Studentin. Auf ihre Welt. Ihre Themen und Fragen. Vielleicht schreibe ich nach Ostern dann ganz anders. Wir werden sehen und ihr werdet dann (hoffentlich auch) lesen.

    Kommt alle gut durch diesen frühen Frühling!

  • Nach dem Fest 2023

    Dezember 27th, 2023

    Christmas came early this year. Für mich gefühlt auch noch extra early, denn das garstige Virus erwischte mich kurz nach dem 3. Advent. Lauter schöne Sachen habe ich so verpasst – eine Adventsfeier, einen Busausflug mit den Senior:innen in meine Vikariatsgemeinde, zwei Konzerte. Vorteil war, dass ich bei einigermaßen klarem Kopf die Gottesdienste für Weihnachten vorbereiten konnte: einen Gottesdienst mit der Jungen Gemeinde und ihrem Krippenspiel, die Christvesper, die Christnacht um 23 Uhr und den Gottesdienst am 1. Weihnachtsfeiertag.

    Dass Weihnachten jedes Jahr ein ziemlicher Kraftakt ist weiß ich. Das eine oder andere Drama im Vorfeld lässt sich dabei einfach nicht vermeiden. Im Presbyterium hatten wir Pandemie-bedingt quälende und nervenaufreibende Sitzungen (Gottesdienste in Präsenz oder nicht?) die immer noch nachwirken. Ich erinnere mich an lange Abende mit dem Vikar und dem Diakon, in dem wir wie die Verrückten bastelten, DVDs und CDs brannten, vorbereiteten. Eltern werden komisch („Unsere Kinder möchten mit ihren Künstlernamen im Abspann genannt werden!“). Mitarbeitende werden komisch (verschwinden kurzfristig/halten sich nicht an Absprachen/werden zickig oder stumm). Menschen in den Gottesdiensten werden komisch („All diese Kerzen! Das ist ja lebensgefährlich!“ „Früher…“ „War das alles? Ich hatte mehr erwartet..“).

    In diesem Jahr kam das Anstrengende aus einer Ecke, die ich überhaupt nicht erwartet hatte. Von wegen, dass ich jetzt mal langsam weiß, wie der Hase im Pfarrdienst so läuft. Der Hase läuft nämlich auch komisch, und das besonders an Weihnachten, wo die Erwartungen und Hoffnungen bei allen groß sind. Und außerdem werde ich möglicherweise älter und gehöre jetzt einer Generation an, die der Jugend nicht mehr so richtig nahe ist. Autsch.

    Die Junge Gemeinde hatte es bei uns im letzten Jahr nicht leicht. Lange gab es keine wirkliche Leitung, die Gruppe dümpelte Werwolf-spielend aber scheinbar auch zufrieden vor sich hin. Im Herbst dann fand sich eine Studentin, die freudestrahlend die Gruppe übernahm. Seitdem ist die JG um über die Hälfte geschrumpft. Ständig gab es Diskussionen mit der Studentin: um die Stunden, um das Stellenprofil, um das Geld („so KANN ich nicht arbeiten!“), um das Verhältnis zur Konfi-Zeit, um das Essen (wegen des Geldes), um Möglichkeiten, mehr Geld zu bekommen. Gut, wenn ich das hier so aufschreibe fällt mir auf, dass ich hätte aware sein können, wo der Hase sein würde. Seufz. Noch nie hatte ich mit dieser eigentlich netten Nebenjob-Stelle so viel Arbeit.

    Drei Tage vor Weihnachten kam dann (so typisch!) alles zusammen. Die angefressene Studentin („Du behandelst mich von oben herab! Und die Jugendlichen haben Angst vor dir!“), eine teilweise offen pissige JG („Nie hört man mir zu! Da sollst du nicht sitzen. Da auch nicht. Sonst haben wir keinen Platz! Warum sollen wir für die aufräumen“) und ich mittendrin und mit Versuchen, die Lage zu überblicken und wenigstens Erste-Hilfe-Maßnahmen zu leisten (Wertschätzung, Interesse, Nachfragen..). Der JG-Gottesdienst an Heiligabend war dann – wie die anderen Gottesdienste auch – tatsächlich schön und eine runde Sache – aber es war ein hartes Stück Arbeit, die Stimmung zu halten.

    Es ist eigenartig mit dieser kleinen Anti-JG, die plötzlich in Fronten denkt (fiese Gemeinde – arme JG) und austeilt gegen das Presbyterium, gegen die alte JG, gegen meine Arbeit. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Und nicht im Traum daran gedacht, dass die Jugend auch mal (mindestens) komisch sein kann. In meinem Kopf waren die irgendwie immer fairer und zugewandter. Aber – und das ist meine neue Erkenntnis – warum sollten die jungen Leute anders sein als der Rest der Gemeinde, wo auch immer irgendwo wer an irgendwas aneckt und sich reibt? Auch die Jugend (und ebenso die für sie im Nebenjob Angestellte ) arbeitet sich ab an dem, was sie mit Gemeinde verbindet und wahrnimmt. Und natürlich auch an Autoritäten und damit zwangsläufig auch an meiner Rolle. Es menschelt überall. Noch dazu nach diesem Jahr, das vermutlich allen sehr unter die Haut gegangen ist.

    Christmas came early. Aber christmas came. Es fällt mir in diesem Jahr nicht leicht meinen Frieden mit diesem Weihnachten und seinen Themen zu machen. Ich merke, dass ich nicht richtig loslassen kann. Anderseits: an Weihnachten geht es ja auch um einen anderen Frieden, der in die Welt kommt. In diese komische, spannungsreiche, überfordernde Welt und in ihre komischen, angespannten und überforderten Leute (wie mich). Da wird er ja auch gebraucht. Und ich hoffe und bete dass es mir gelingt, davon zu erzählen und das nicht nur an Weihnachten und nicht nur (aber natürlich auch) in der Kirche. Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids [..] Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

    Also – Friede sei mit euch!

  • Freiheit oder so ähnlich

    Oktober 5th, 2023

    In dieser Woche hatten wir wieder Pfarrkonvent. Für die, die das nicht kennen: Einmal im Monat treffen sich Pfarrer:innen für Austausch, Input und irgendwie geartete „geistliche Stärkung“. Bei uns dauert das um die vier Stunden. In manch garstig vollen Wochen bin ich dazu geneigt, nicht hinzugehen. Aber meistens ist es dann doch wohltuend – vor allem die Begegnungen mit den anderen Leuten im Dienst.

    Manchmal ist Konvent irritierend („Brüder und Schwestern..“, ein immer wieder erschreckender Unterschied zwischen den Generationen). Ab und zu bringt es richtig was (Bibelgespräche! Kollegiale Beratung!). Mal fühlt es sich an wie verschenkte Zeit (wenn Pfarrer:innen erstmal ins „Reden über“ kommen …) oder wie komplett aus der Zeit gefallen („Früher haben wir noch Briefe geschrieben. Mit Tinte!“).

    Ein Kollege, der seit 15 Jahren im Ruhestand ist sagte beim letzten Konvent: Der Pfarrberuf sei einer der freiesten Berufe, die es gäbe. Und ja, er wisse um die vielen Termine und trotzdem. Ich ahne, was er meint. Vielleicht ist der Dienst auch tatsächlich vergleichsweise „frei“ in der Gestaltung, aber ich spüre definitiv mehr Verantwortung als bewusste Freiheit, was aber auch fine ist für mich. Vielleicht schließt das eine das andere ja auch nicht aus. Es bleibt auf jeden Fall spannend, herausfordernd und krass, dieses Leben als Pfarrerin. Und auch immer mal wieder sehr, sehr strange.

    So bei der Beisetzung am Montag. Den Montag als Termin fand ich schon mal wenig prickelnd (adieu, einziger freier Tag der Woche). Das Bestattungsunternehmen hatte seinen Sitz genau am anderen Ende des Landes und (ich hatte es schon befürchtet) keinerlei Plan über die Gepflogenheiten auf den Friedhöfen dieser Stadt. Immerhin hatte es geschafft, die Urne der Verstorbenen hierher zu schicken (ich meine, per Post, was auch weird ist).

    Als ich zur Trauerhalle kam, war draußen schon die Familie versammelt. Drinnen wartete der Urnenträger und sonst war niemand da (20 Minuten vor Beginn schon mal verdächtig). Ein paar Blumensträuße lagen auf dem Boden vor einem pannebesammten Hocker, auf dem die Urne stand. Und zwar nur die Urne. Ohne Blumenschmuck. Ohne Schnickschnack, keine Schrift, kein Motiv. Schwarz, oben gut erkennbar der weiße Zettel mit Angaben zur Person. Ich kann minimalistischen Designs durchaus was abgewinnen, aber das sah einfach nur trist und kahl aus und lieblos.

    Bald stellte sich heraus, dass außer dem Urnenträger und mir niemand mehr kommen würde. Keine:r an der Orgel. Keine:r, der die Trauerfeier begleiten würde. Kurz überlegte ich selbst Orgel zu spielen. Dann fand ich im Schrank ein paar übriggebliebene CDs von anderen Beisetzungen (Air von Bach, Im schönsten Wiesengrunde, Violinkonzerte,..) und bat den Urnenträger, den CD-Spieler zu bedienen. Er: Waaas? So eine Verantwortung will ich nicht. Am Ende verdrück ich mich und dann..? Ich mach das nicht! Ich hab auch gar nicht meine Brille hier! Ich: Wie soll ich denn von vorne an den CD-Spieler kommen, ich rede da doch?! Da kann ich nicht hin und her rennen. Können Sie das nicht bitte irgendwie hinkriegen? Nach kurzer Diskussion und nachdem er seine Brille geholt hatte, war er dann zum Glück doch dazu bereit.

    Derweil bemühte ich mich, die Urne zu verschönern. In der Trauerhalle gibt es eine Art Altar, auf dem ziemlich ausgeblichene Gestecke aus Kunstblumen stehen. Gelbe Blüten an braunen Zweiglein mit großen, runden grünen Blättern. Alles aus Stoff und Plastik. Drei Blumenköpfe, ein Zweig und ein Blatt fanden im Laufe meiner Versuche einen neuen Ort auf und an der Urne. Es passte farblich sogar zu den frischen Blumen der Gebinde, ich musste nur die Reste des Heißklebers abpulen. Der Urnenträger fand das Arrangement am Ende geschmackvoll. In dem Schrank, wo ich die CDs gefunden hatte, entdeckte er auch eine Art Netz mit langer Schlaufe oben, in das er die Urne einhüllte (wie ein Einkaufsnetz, nur enger). Das sah auch nicht wirklich besser aus als zuvor (oh my), aber immerhin konnte er sie damit später dann in die Erde lassen.

    Zu den vielfältigen Anforderungen des Pfarrdienstes gehört also wohl auch das: DIY-Deko spontan und unter Zeitdruck mit begrenztem Material finden und möglichst angemessen anbringen. Von wegen Freiheit – das ist KUNST!

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