Unverhofftes Glück

Gestern Abend gegen 20 Uhr lehnte ich mich gegen die samtigblaue Rückenlehne einer Sitzbank im Restaurant und schloss kurz die Augen. Mein Nachbar von rechts sprach mich an: „Du lächelst ja gerade so versonnen…“ Das Lächeln hatte ich gar nicht bemerkt. Vielleicht vor Müdigkeit. Vielleicht vor Überraschung.

Denn Danach sah der Beginn der Woche überhaupt nicht aus. Nach Ostern hatte ich ein paar Tage Urlaub und ein schönes Wochenende mit dem Freund verbracht. Rauskommen, Städtetrip, Zweisamkeit – es war herrlich. Wobei die Unbeschwertheit von ein paar Nachrichten aus der Gemeinde (Konfi, Konfimutter, Konfi-Freizeit, Konfi-Drama über Messenger) gedämpft wurde. Hätte ich mal die Benachrichtigungsfunktion am Handy ausgeschaltet! Die Landung zurück im Alltag war dann, wie immer nach freien Tagen, holprig. Als hätte ich eben noch fröhlich auf dem Spielplatz geschaukelt und müsste nun mit den Füßen bremsen und aufstehen und lame zurück nach Hause und dann zum Zahnarzt, oder so. Am Dienstagmorgen wachte ich auf, stellte fest, wo und wann ich war und begann den Tag mit einem lauten „Neee“. Vor mir lag die Planung der Konfifreizeit, die unter keinem guten Stern stand. Ein Elternabend für den neuen Jahrgang. Ein Problemgespräch mit Konfi-Mutter und Konfi und drumherum das normale Gemeindeleben-Gewusel mit Büro, Orga und Kreisen.

Dass es seit Weihnachten hier und dort Reibungen mit der (älteren) Jugend gab, hatte ich schon geschrieben. Auch bei den Konfis haperte es ziemlich, vor allem gruppendynamisch. Irgendwie war es uns nicht gelungen, ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Die Jugendlichen sind super unterschiedlich und zu großen Teilen in 2er-beste-Freund:innen-Teams unterwegs und obendrauf hat die Gruppe noch ein paar Einzelne (teilweise mit special needs), die keinen Anschluss finden konnten. Mit der ganzen, „großen“ Gruppe fremdelten alle und niemand hatte Lust auf die Freizeit, ich tatsächlich auch nicht. Dem einen Konfi, der sich weigerte mitzukommen (das beginnende Drama im Urlaub), konnte ich kaum einen Vorwurf machen.

Ich habe viel überlegt, woran das liegen könnte, was verändert werden müsste. Und stellte fest, dass meine aufmüpfige JG vielleicht doch Recht hatte (…), und das Monatsmodell (wie wir es gestaltet haben) wirklich nicht mehr passt. Es braucht mehr Begegnungen, kürzere Abstände. Hier wird nun also etwas Anderes ausprobiert: 14-tägig unter der Woche, zwei Stunden, mal sehen wie das wird. Der Schritt dahin ist mir nicht leicht gefallen. Rahel meinte bei einem unseres vielen Gespräche darüber: Kill your darlings. Ich fand das Monatsmodell immer so toll! Wirklich! Seit meinem Vikariat, wo das an manchen Orten noch neuer, heißer Scheiß war. Dass ich jetzt an Punkte komme, in denen mein „heißer Scheiß“ nicht mehr passt, ist höchst eigenartig. Andererseits: Die Dinge sind ja ständig im Fluss und verändern sich. Corona hat Sachen gemacht. Die Weltlage macht Sachen. Und jeder Jahrgang ist anders. Und ich hab schon lange Lust auf Veränderung und Bewegung in der Gemeinde – ich hatte den Raum dafür nur an anderer Stelle vermutet. Wie man im Dienst wirklich nie aufhört zu lernen, irre! Ich bin dankbar, dass das Presbyterium die Entscheidung mitträgt, ebenso der Diakon, die Teamer:innen der JG und die Eltern der neuen Konfis. Es brauchte einen Moment, bis ich das darüber entstandene Gefühl benennen konnte: Es war neben einer großen Erleichterung auch: Vorfreude.

Die aktuelle Gruppe wird davon nicht mehr profitieren können. Dafür hatten sie nun ein Wochenende mit voller Dröhnung Gemeinschaft. Eine relativ weite Anreise mit Öffentlichen, lange Abende mit den Werwölfen (es wird einfach nie schlecht), ein anderer Ort, Handys nur auf den Zimmern, Lagerfeuer. Thema Geist/Gemeinschaft/Abendmahl (Korinth und so) – es hat gepasst und die Jugendlichen hatten eine gute Zeit und waren auch in den Pausen zusammen unterwegs, haben gespielt, waren spazieren, haben zusammen Quatsch gemacht, am Ende eine super schöne Andacht gefeiert. Auch das war so überhaupt nicht absehbar. Und so schön für die Jugendlichen. Gott sei Dank!

In der Jugendherberge gab es für mich darüber hinaus einen weiteren Glücksmoment: Einige Kolleg:innen aus meinem ersten Kirchenkreis waren wegen einer Tagung auch dort und es gab beim Mittag ein Wiedersehen nach fast sechs Jahren. Vor lauter Umarmen und Erzählen bin ich kaum zum Essen gekommen. Ich hab ich so gefreut, sie wiederzusehen. Ein wenig Nostalgie und Wehmut war auch dabei. Die ersten Jahre im Dienst sind besonders. Für mich waren sie sehr schön, auch und gerade wegen der Menschen, mit denen ich gemeinsam unterwegs war und die mich auf die eine oder andere Weise bis heute begleiten.

Die Müdigkeit nach dieser Woche und diesem Wochenende war entsprechend groß. Aber auch die Zufriedenheit und Dankbarkeit. Mit dem Freund war ich abends noch bei einem Konzert von befreundeten Musikern – Brahms, Messiaen, Pärth.. Trotz meines leicht dämmrigen Zustand war auch das intensiv und bereichernd. Der gemeinsame Restaurantbesuch mit den Freunden im Anschluss setzte all dem noch die Krone auf. Gutes Essen, eine vergnügte Gemeinschaft, Musik, Liebe und so viel unverhofftes Glück. Ich lehnte mich zurück, schloss kurz die Augen und genoss.


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