Es ist erstaunlich, wie viele Erinnerungen ein Mensch in sich tragen kann. Wie viel da ist, auch bei mir. Anfang August werde ich 39 Jahre alt. Gestern nachmittag erinnerte ich mich extrem deutlich an mein fünfjähriges Ich. Die Erfahrungen von damals tauchten wieder auf: So riecht es nur an dieser einen bestimmten Ecke am See, wenn man vom Weg zum Badestrand kommt (irgendwie minzig, aber auch herb). Hier an dieser Stelle im seichten Wasser sind diese Steine, da muss man aufpassen wo man hintritt. Und dort, wo ich mit meinem Onkel die Handtücher hingelegt habe, links von der großen Trauerweide, da sind wie damals diese kleinen Ameisen, die garstig werden, wenn man zu lange bleibt. Gab es früher nicht auch schon diese kleinen, durchscheinenden Kaulquappen hier? Und diese Fische mit den hellroten Schwanzflossen? Mir fiel wieder ein, wo ich mit meinem Grundschulfreund in der 4. Klasse baden gegangen bin (die Stelle mit den Ameisen). Ich sah meine Großeltern vor mir auf der anderen Seite vom Strand, auf dem kleinen Stück Gras auf einer Decke, mit Butterkeksen (immer gab es Butterkekse). Und ich spürte die kleinen Steine auf dem Weg zurück zur Straße unter den Füßen – doch, die Schuhe zieht man hier besser wieder an.
Natürlich hatte ich meine Badesachen zuhause vergessen, die Mutter, die Geburtstag feierte, konnte aushelfen – das Wasser war weich und hatte die perfekte Temperatur, einladend und trotzdem erfrischend. Ein Besuch mit wohltuenden Urlaubsmomenten. Ansonsten ändert sich meine Heimatstadt um das Haus meiner Großeltern herum gerade rasant- die Straßen werden erneuert, es wird in die Tiefe gegraben, Grundwasser wird abgeschöpft, Kabel werden verlegt – es dauert ewig und ist fast unmöglich, mit dem Auto dorthin zu kommen. Da muss man schon ein Local sein (bin ich das eigentlich noch?). Immer noch ist es ungewohnt vor dem Haus auf der Veranda zu sitzen und meine Großmutter nicht neben mir zu haben. Ich bin froh, dass ich mich noch an ihre Stimme erinnern kann. Und ich ahne, dass sie ihre Freude gehabt hätte an all den Blumen, den glitzernden Windrädern und Lichterketten, die mein Onkel angebracht hat.
Schon bald geht es für mich und Teile der Gemeinde für eine Woche nach Taizé. Ich bin super gespannt, ob die anderen eine gute Zeit haben werden, ob dieser Taizéfunke überspringen wird und wie das dann alles für mich sein wird. Dann beginnt auch bald die Sommerpause (Urlaub!!!!!), doch bis dahin ist noch viel zu tun (…) und zwischendurch ist es hektisch. In der Kirche haben Restaurierungsarbeiten begonnen und ich finde es wahnsinnig spannend, was sich da unter diversen Schichten Farbe und Putz verbirgt. Ich lerne neue Wörter (“Begleitstreifen!”) und staune, was da alles geblieben ist, wenn auch verborgen. Und dass geübte Hände es wieder sichtbar machen können: Weinreben, Kreuze, Verzierungen. Vielleicht finden sich Möglichkeiten, manches davon zu zeigen. Das wäre schön.
In der Kita stand letzte Woche ein Abschied an. Die Großen kommen nach dem Sommer in die Schule, ich war das letzte Mal offiziell zur Andacht bei ihnen. Ich mag diese Truppe. Bis zum Schluss wollten sie das Schaf-Spiel spielen (es ist ja auch ein tolles Spiel). Jetzt konnte ich sogar ihre Namen! Zum Schluss bastelten wir gemeinsam Segenshüte aus Papier (das hatte ich extra gut geübt vorher) und dabei fiel den Kleinen wieder ein, dass ich ja einmal Mühe hatte mit dem Basteln von Papierbooten. Das hatten die Kinder nicht vergessen. In der Zwischenzeit hatten sie es selbst gelernt – aber wie! Eine fing dann an, für mich ein Boot zu falten und mit regenbogenbunten Herzen zu bemalen. Am Ende hatte ich eine richtige Flotte zusammen, große (“Da kannst du auch mit deinen Playmobil-Figuren drauf spielen”) und kleine Boote und auch einen Segenshut. Da steht vorne “Segen” drauf, in großen Buchstaben, das S ist spiegelverkehrt. Und gleichzeitig genau richtig. Es wäre herrlich wenn die Kleinen diese Erinnerung behalten würden: Wie sie ihre Pfarrerin an einem Mittwochmorgen sehr glücklich gemacht haben.