Heiligabend vor fünf Jahren. Damals war ich noch auf meiner Stelle im Probedienst. Vier Gottesdienste in verschiedenen Dörfern lagen an, manche mit einem Krippenspiel, andere mit einem kleinen Flötenchor oder in einer Kirche, die nur von Kerzenschein erleuchtet wurde. Ein ziemlicher Kraftakt, aufregend, aber auch schön.
Bei einer Mitarbeiterin und deren Familie war ich nach den ersten beiden Gottesdiensten zum Abendessen eingeladen, was ich dankbar annahm. Ein reich gedeckter Tisch, Kartoffelsalat, Würstchen, Tee und Brote, Wein. Die Stärkung war dringend nötig. Das Essen schmeckte gut. Die Gesellschaft war angenehm. Wohlige Wärme und Schläfrigkeit breitete sich in mir aus. Ich musste mich daran erinnern, nicht zu sehr zu entspannen, zwei Gottesdienste würden schließlich noch folgen. Als ich das Auto für die letzte Fahrt an diesem Abend mit meinen Sachen packte, kam eine Nachricht von Rahel auf mein Telefon. Bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Das Kind kommt.
Doch das konnte nicht sein. Es war viel zu früh, der Geburtstermin war eigentlich für Mitte März berechnet. Noch war das Kleine nicht lebensfähig. Die gesamte Schwangerschaft war schon schwierig gewesen, immer wieder gab es Momente in denen wir um das Leben des Kindes bangten. Der werdenden Mutter war zuletzt Ruhe verordnet worden, Beschäftigungsverbot, viel Liegen. Nun hatten an Heiligabend doch die Wehen eingesetzt. Ich konnte nur ahnen, in welch großer Sorge sich Rahel und ihr Mann befanden. Und mir geschah es, dass ich an jenem Heiligabend die Geburt des einen Kindes feierte und mit jeder Faser meines Daseins dafür betete, dass das andere Kind nicht geboren werden würde. Jedenfalls noch nicht. Bitte noch nicht. Während des vorletzten Gottesdienstes kamen neue Nachrichten. Wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt. Es braucht Spezialisten für Frühgeburten. In so einem Zustand noch ein Transport? Ob das gut gehen würde? Und kurz vor der Christnacht schließlich:
Habe Wehenhemmer bekommen. Und ein Mittel, das bewirkt, dass die Lunge des Babys sich schneller entwickelt. Wenn das Kind nicht in den nächsten 48 Stunden kommt, kann es vielleicht überleben. Bete für uns. Wie viel Spannung und Aufregung konnte ein Mensch ertragen? Ich war voller Sorge, voller Unruhe und wie elektrisiert. Ein Gefühl von klammer Ohnmacht machte sich breit. Ich war so weit weg, konnte nichts tun, aber wollte so gerne.
Die Christnacht klang anders als in den Jahren zuvor, ernster, besorgter. Ein Kind wurde geboren und auch sein Leben war gefährdet, von Anfang an. Ich verstand mehr von der Sorge und schließlich auch mehr von der Freude.
An Weihnachten vor fünf Jahren wurde kein Kind geboren. Auch nicht in den 48 Stunden danach. Am 30. Januar erblickte ein sehr kleines Mädchen das Licht der Welt, immer noch 6 Wochen zu früh, aber kräftig genug um zu überleben.
Bald feiern wir also Kindergeburtstag. Und an Weihnachten feiern wir jedes Jahr, dass die Kleine nicht geboren wurde.