2020 hat für mich einen ziemlich rasanten Start hingelegt. Die ersten Wochen des Jahres wollte ich eigentlich Urlaub machen, liebe Menschen besuchen und mich vom Weihnachtstrubel erholen. Stattdessen lag ich fiebrig und schlapp im Bett herum und begann den Dienst Mitte Januar mit halber Kraft, Husten und (fast) ohne Singstimme. Was mir leider erst in dem Moment auffiel, als ich beim monatlichen Taizégebet das erste Lied anstimmte. 45 Minuten Singen können ganz schön lang werden, wenn man die Töne entweder haucht, hustet oder in der Höhe überhaupt nicht hinaus bekommt. So viel Restkrankheit überraschte mich und weckte Mitleid in der Gemeinde. Es macht schon durchaus Sinn, krank einfach mal zuhause zu bleiben, wenn es irgendwie geht. Mittlerweile geht es mir aber wieder gut und die Menschen haben erfreulicher Weise auch aufgehört mir mitzuteilen, dass ich blass/krank/fertig/fiebrig/ungesund aussehe. Wenn ich noch ein bisschen huste, dann aus purer Nostalgie.
Gerade bin ich ganz schön hibbelig, weil ich in diesem Jahr ein Mentorat für einen Vikar übernehme. Ich habe das Gefühl, dass mein Vikariat quasi gestern gewesen ist (obwohl dazwischen unfassbar viel passiert ist) und kann mich noch an das Gefühl erinnern, den ersten Gottesdienst alleine zu feiern. Auf dem Dorf in einem zu warmen Gemeindesaal kurz nach Ostern, mit Fieber. Eine surreale Erfahrung. Ich war unfassbar aufgeregt und gleichzeitig total matschig. Am Anfang ist ja alles mega krass, jede Drehung hin oder weg vom Altar, jedes Gebet, jeder Gang zum Pult oder zur Kanzel, jede Lesung. Für die erste eigene Predigt habe ich damals drei Wochen gebraucht. Drei Wochen! DAS waren noch Zeiten. Jetzt bin ich gespannt, ob das gut gehen wird mit dem Vikar und mir. Ob ich ihn gut begleiten kann bei dem, was in den nächsten zwei Jahren bei ihm passiert. Die erste Taufe, die erste Beisetzung, die erste Hochzeit… Letztens saßen wir zusammen, planten seine ersten Wochen bei uns in der Gemeinde und er fragte mich: Würden Sie sagen, der Beruf ist stressig? (mittlerweile sind wir auf Du). Da erst wurde mir bewusst, dass solche Grundsatzfragen wohl auch dazu gehören werden. Stressig? Schon, ja. Manchmal weiß man nicht, wo einem der Kopf steht oder das Herz. Aber ich kann mir nicht vorstellen, etwas anders zu machen.
Unerwartete Fragen kommen auch in anderen Zusammenhängen. An Silvester ist die Dame verstorben, von der ich hier an anderer Stelle schon geschrieben hatte. Es hat lange gedauert, ihre letzten Tage und Wochen im Hospiz waren quälend für sie und die Angehörigen. Ihre Beisetzung war für mich die erste Amtshandlung im neuen Jahr, eine ziemliche Herausforderung und das nicht aus gesundheitlichen Gründen. Manche Menschen wirken und leben auf so schillernde und auch gebrochene Weise, dass es ein richtiger Drahtseilakt ist, einigermaßen passende Worte für die Ansprache zu finden. In diesem Fall ist es zur allgemeinen Erleichterung gelungen, aber es war ein echter Kraftakt. Später saß ich erschöpft beim Trauerkaffee und von der linken Seite sprach mich die Ehefrau meines Vorgängers an: Bereust du es, hergekommen zu sein? Ich reagierte perplex und ausweichend und nicht halb so schlagfertig, wie ich es mir gewünscht hätte (Wirke ich denn so, als würde ich es bereuen? Doch, ich fühle mich schon sehr wohl hier, weil…).
Mittlerweile glaube ich, dass ihre Frage mehr eine Selbstaussage war. Für Vorgänger*innen im Amt ist es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit quälend zu sehen, was der Nachfolger oder die Nachfolgerin alles anders macht, es geht gar nicht anders. Ich bin froh, dass ich nicht hautnah erleben muss, was mein Nachfolger in meiner ersten Gemeinde jetzt alles anders macht. Einerseits tut es gut zu wissen, dass er da ist und sich kümmert. Andererseits versetzt mir auch einen Stich wenn ich höre, wie ein älterer Herr von ihm schwärmt (Er weiß alles! – was soll denn der Scheiß? NIEMAND weiß alles!). Und wenn mich jemand aus der alten Gemeinde hier in der Stadt besucht (so geschehen am Sonntag vor einer Woche), dann steigt mir heiße Rührung in die Augen. The first cut is the deepest. Aber der Zweite hat es auch in sich.