Vor gar nicht allzu langer Zeit geschah es, dass ich an einem predigtfreien Wochenende samstagnachmittags mein Zelt, Isomatte und Schlafsack, Badesachen und ein paar Klamotten schnappte und spontan zu einem Festival fuhr. Im Auto konnte ich mein Glück kaum fassen. EIN FESTIVAL! Gar nicht so super weit weg, hurra! Es war eines der letzten heißen Wochenenden des Sommers und ich freute mich auf meine Leute, auf frische Luft, den nahen See, kühle Getränke, Musik und Tanzen. Und klar, auch auf einen kurzen Ausstieg aus der pastoralen Rolle.
Auf dem Zeltplatz angekommen finde ich die anderen schnell, das erste Bier wird noch vor dem Zeltaufbau geöffnet. Zufrieden und neugierig schaue ich mich von der Picknickdecke aus um: so viele schöne, hippe und entspannte Menschen überall, einige mit Kindern. Fast wie früher, denke ich. Nur, dass zwischen unseren Zelten jetzt auch Kinder herumkrabbeln und Niedlichkeit verbreiten. Ein Nachwuchsproblem hat die Festivalgemeinde jedenfalls nicht, außerdem genießt die Zukunft eine gute musikalische Früherziehung. Schön für sie.
Friedi kommt auch dazu, als gerade das Zelt fertig aufgebaut ist. Sie hat wilde Pläne, nachts um drei soll ein Freund von uns auflegen. Ich ahne schon, dass ich so lange wohl nicht durchhalten werde. Das finde ich gar nicht so schlimm, um mal wieder Gisbert (zu Knyphausen) zu zitieren, den ich an diesem denkwürdigen Tag laut Zeugenaussagen zweimal knapp verpasst habe. Ein Lebensthema scheint sich (auch schön länger) abzuzeichnen. Traurigkeit kommt trotzdem nicht auf, dafür scheint die Sonne zu schön ins Gemüt und die Gesellschaft ist auch ohne Gisbert vergnüglich genug. Wir flanieren zwischen Feldern und Bühnen umher, in Sommerklamotten und Trinklaune. An einer Kreuzung treffe ich einen Typen, der mir bekannt vorkommt. War das nicht dieser Mensch, der im Konficamp den einen Workshop geleitet hat? Na klar! Als ich ihn grüße guckt er ähnlich verwirrt wie ich mich fühle. Vielleicht sehe ich für ihn komisch aus, so ganz ohne pubertierende Jugendliche um mich herum. Zack, Pfarrerinnen-Alarm, der erste.
Als wir zurück zu unserem Zelten gehen, bemerke ich im Eingangsbereich eine Gruppe schlaksiger Jungs, die doch irgendwie…Hej Sara! ruft es von dem Campingstisch her und ich erkenne welche von den Jugendlichen, mit denen ich vor zwei Jahren im fernen Süden unterwegs war. Mittlerweile haben sie alle Abi gemacht und sind in die Welt gestartet mit Auslandsaufenthalten, Studienbeginnen und den Dingen, die man eben so macht mit Anfang 20. Also auch Festivals. Und Flunkyball spielen. Kurz bleibe ich stehen (ich mag die ja auch) und überzeuge mich davon, dass es den Jungs gut ergangen ist. Als sie mich zu einer Runde Flunkyball (die Jugend spricht es heutzutage englisch aus, irritierend) einladen, lehne ich dankend ab. Ich hab ja schon ein Wegbier in der Hand und außerdem – vor Jugendlichen aus dem Kirchenkreis betrunken durch die Gegend stolpern – besser nicht. Zack, Pfarrerinnen-Alarm, der zweite.
Am nächsten Vormittag liege ich frisch gebadet und leicht fröstelnd am See. Der Wind weht frisch, zum Glück gibt es einen Kaffeestand und somit heiße Getränke. Ich versorge mich mit einer Goldenen Milch (und amüsiere mich etwas über mich selbst, weil ich von dem – leckeren! – Getränk noch nie etwas gehört habe) und später noch einem Kaffee. Der Barista macht seinen Job gut. Meine Freunde erzählen, dass er ihnen tags zuvor von seinen Glaubensüberzeugungen erzählt hat. Mit Kirche habe er es ja nicht so. Die Natur sei seine Kirche, die reiche ihm für seinen Glauben. Und wie ich da unter dem blauen Himmel in einer herrlichen Naturkulisse auf einer Decke sitze und heiße Getränke schlürfe, fange ich an mich zu ärgern. Zack, Pfarrerinnen-Alarm, die dritte.
Was haben die Leute bloß immer mit ihrem „im Wald bin ich Gott nahe“ -Ding? Jaaa, die Natur kann atemberaubend schön sein und natürlich müssen wir dringend die Schöpfung bewahren, aber was hilft denn die Natur bei den großen Sinnfragen? Der Stärkere setzt sich durch, wie tröstlich ist das denn tatsächlich? Und das Rascheln der Blätter im Wald erzählt mir keine Geschichten von Liebe und Menschlichkeit, von Suchen und Finden und Hoffen über den Tod hinaus. Wem Jesus höchstpersönlich auf einsamen Waldwegen begegnet, der hat vielleicht noch ganz andere issues. Eine Gemeinde, so spleenig und eigen (siehe vorletzter Blogeintrag) sie teilweise sein mag, ist doch auch total wichtig. Weil Menschen versuchen, miteinander ihren Glauben zu leben, so wie er eben ist. Nicht ganz rund, manchmal hart an der Grenze, aber in Bewegung und im Austausch, gemeinsam. Zack, Pfarrerinnen-Alarm, die vierte. Ich bin froh, dabei sein zu sein.