Bei einer Geburtstagsrunde in der letzten Woche wollte mir eine Dame ernsthaft weis machen, dass es der Gemeinde hier besorgniserregend schlecht gehe. Es seien heutzutage ja soo wenig Jungen und Mädchen in den Konfirmandenjahrgängen. In ihrem eigenen Jahrgang waren sie 100 Konfirmandinnen und Konfirmanden. Einhundert! Im Vergleich zu solchen Größenordnungen können Gruppen wie hier mit zehn bzw. vierzehn Jugendlichen schon miniklein aussehen. Wiederum verglichen mit der Lage auf dem platten Land sind die Zustände hier paradiesisch. In meinem letzten Jahr in der ersten Gemeinde hatte ich keine*n einzige*n Konfi. Vieles ist letztlich eine Frage der Perspektive. Gemeckert wird trotzdem immer. Da frage ich mich (frei nach Joey Tribbiani) why god, why??? Und warum sich die ewigen Nörgler*innen mit ihrem „früher war alles besser“ nicht selbst kräftig auf die Nerven gehen.
Mein Hippieonkel erinnerte mich letztens daran, dass ich einst Pfarrerin werden wollte, um mit Jugendlichen zu arbeiten. Jetzt ist das tatsächlich möglich. Und das hab ich nun davon (Ausschnitte des Wochenendes):
Die Konfis wollen vor den Ferien unbedingt noch etwas Tolles machen. Ich schlage vor: „Übernachten in der Kirche“ und erwarte begeisterte Zustimmung (sie fürchten sich). Sie wollen lieber Zelten im Kirchgarten. Na gut, auch ok (ob sie ahnen, dass das auch mal ein Friedhof war?). Wir haben Platz, eine Feuerstelle, und ein großes, an den Seiten offenes Festzelt, das schon steht und unter dem ein paar Leute schlafen können, wenn die mitgebrachten Zelte nicht reichen sollten.
Der Abend beginnt mit einem Taizégebet (sie singen ganz zauberhaft mit), dann Zeltaufbau, Spielen, Pizza und Lagerfeuer mit Stockbrot und Playlist-battle der Jugend und mit Fragen, die die jugendliche Welt bewegen: „Sara, kennst du die Ärzte?“ (die Frage tut schon ein bisschen weh) – „Was denkst du eigentlich, wie alt ich bin?!“, „Sara, kennst du Von wegen Lisbeth?“ – „Na klar. Da wär ich letztens fast zum Konzert gewesen“. Aber auch Geschichten aus dem Schulalltag, von Wahlfächern („Soll ich lieber Gender, Sexualität oder Homophobie belegen?“), Freundschaften und Müttern („Meine Mutter würde jetzt schon russische Lieder singen und tanzen“) und natürlich und bis in alle Ewigkeit das Werwolf -Spiel. Why god, why? Ob es eine Statistik gibt, wie viel Lebenszeit Menschen im kirchlichen Dienst im Schnitt mit den Werwölfen im Düsterwald verbringen müssen? Bestimmt sind es Wochen oder Monate. DAS ist besorgniserregend.
Gegen halb zwölf nachts lichtet sich die Runde. Einige spielen jetzt Wahrheit oder Pflicht. „Sara, spielst du mit?“ – „Nee, macht ich mal.“ Moritz muss mit seinen Socken Marshmallows essen; Lena jemandem auf der Straße frohe Weihnachten wünschen; Hanna erzählt ihre jüngste Lüge (zum Glück harmlos) und Karl muss drei Minuten Comedy (der Arme) machen. Ich lege ab und an Holz nach und freue mich, dass die Jugendlichen eine gute Zeit haben. Ab Mitternacht geht die Meute langsam schlafen. Ich lande mit unter dem Festzelt, zwei Isomatten, ein Schlafsack, eine gewisse Grundanspannung (was ist eigentlich, wenn uns hier wer besuchen kommt? Was war dieses Rascheln? Wie kann ein einzelnes Mädchen so unfassbar viel Krach machen? Man, Maxi! Warum brettern die Autos hier lang, als wären sie auf der Flucht? Oh, eine Nachtigall..) Vielleicht komme ich in dieser Nacht auf drei Stunden Schlaf.
Als die Vögel ihr Morgenkonzert beginnen, wache ich auf. Es ist eiskalt. Etwa eine Stunde versuche ich, wieder in den Schlaf zu finden, die Kinder liegen seelenruhig in ihren Schlafsäcken, beneidenswert. Dann reicht es mir und ich stehe fröstelnd und leise fluchend auf, mache mir einen Kaffee, setze mich in mein warmes Büro (Halleluja!) an den Schreibtisch und beginne, zu arbeiten. Vor sechs. Ein echtes Happening. Es werden äußerst produktive zwei Stunden. Ich schaffe es, den Ablauf für den Vorstellungsgottesdienst der großen Konfis hübsch aufzuschreiben, eine Liste der Teilnehmenden für die Konfifreizeit in den Sommerferien fertig auszufüllen und wegzuschicken und das Chaos in meinem Büro zu beseitigen. Danach geht es langsam aber beharrlich bergab. Ein Erkältungsbad und zweifaches Nachschlafen tagsüber können die garstige Erkältung (eine Nacht draußen, gleich krank, nix mehr gewöhnt, hmpft) nicht aufhalten.
Am Abend findet das große Sommerkonzert des Chores statt. Ich putze mir dabei so oft die Nase, dass eine Sängerin mich hinterher mitleidig anspricht („Allergie?“ „Konfis und Kirchgarten!“). Je später der Abend wird, desto dichter werden meine Ohren. Beim gemeinsamen Ausklang bei Wein und Kartoffelsalat verstehe ich irgendwann nur noch die Hälfte. Meinen Augen tränen auch. Man legt mir das als nonverbalen Aussage zum Game of thrones-Finale (fatal!Ahrgh!) aus, was nicht ganz falsch ist.
Zum Glück muss ich am nächsten Morgen in der Kirche nicht predigen, die großen Konfis machen den Gottesdienst selbstständig. Sie werden das gut machen, die Gemeinde wird sich angetan zeigen und ich werde darüber überrascht staunen und unendlich erleichtert sein (schließlich ist das die Gruppe mit den Jungs, die ich permanent gegen Wände klatschen will, aus guten Gründen). Zuhause werde ich dann erschöpft, aber zufrieden ins Bett fallen, mit lieben Menschen telefonieren und den blöden Schnupfen mit Humor nehmen: Erkältet für die frohe Botschaft, Krank für Konfis, Erkältet für Christus. Was man nicht alles macht…