Aus gegebenem Anlass VII

Predigt Karfreitag 2019

Am Anfang ist da eine sternklare Nacht mit einem Himmel, so offen und weit die Augen sehen können. Da sind auch Felder und Hirten mit ihren Schafen und ein zugiger Stall, mit pieksendem Stroh in einer Futterkrippe. Von Ferne klingt ein himmlisches Sausen, fast wie ein Singen, entrückt und jubelnd.

Das Neugeborene liegt in den Armen der Mutter, spürt die wärmende Haut, ihren Herzschlag. Kaum auf der Welt wird Jesus von Liebe umfangen. Ich stelle mir vor, wie Maria und Josef zärtlich mit dem Kleinen reden, wie er gestreichelt und liebkost wird, in Windeln gewickelt, gestillt.

Am Anfang seines Lebens ist Gottes Sohn in seiner Menschlichkeit anrührend, mit so kleinen Händen und Füßen mit winzigen Fingern und Zehen, mit Hunger und mit Durst und Bauchschmerzen – angewiesen auf die Fürsorge seiner Eltern. Ein schutzbedürftiges Kind mit einem Blick wie aus einer anderen Welt. Von Beginn an ist das Menschenkind Jesus in Gefahr sein Leben wieder zu verlieren – es braucht Frauen und Männer, die ihm helfen, Sterndeuter und Weise, Menschen, die ihm und seiner Familie auf der Flucht Obdach geben.

So wird es später erzählt und dann von einigen aufgeschrieben werden, damit niemand den Anfang seiner besonderen Geschichte vergisst. Den Anfang von Gott, der sich hinein in diese Welt wagt und mit ihr in Beziehung geht, sich berühren lässt und berührt. Eine Geburt ins Ungewisse und Riskante. In seiner Abhängigkeit und Bedürftigkeit ist dieser Beginn fast schmerzlich finde ich. Gottes Sohn ist Mensch geboren.

Am Ende ist Jesus ein Mensch, der einen gewaltvollen Tod stirbt. Unter einem Himmel, von dem im Evangelium nach Johannes nichts weiter berichtet wird. Es ist der Tag vor dem Passahfest, die Sterne sind lange schon verblasst. Ich stelle mir eine erstickte Stille vor, Ohnmacht legt sich schwer auf Brust und Herz, schon beim Gedanken daran. Links und rechts von ihm zwei andere Sterbende. Gefoltert. In ihrem Leid zur Schau gestellt, an Kreuzen in der Höhe auf einen Hügel nahe der Stadt. Die letzten lebendigen Stunden werden zur Qual. Unten sind Soldaten die um seine Kleider spielen. Oben ist ein Schild an seinem Kreuz, mit einer Botschaft für die ganze Welt – Jesus von Nazareth, der Juden König. Pilatus ahnt nicht, wie weltbewegend das Geschehen tatsächlich ist. Wie viele Menschen von diesem Tag und den Tagen danach erzählen werden, aber noch ist es nicht so weit.

Vor allem aber sind da Menschen in seiner Nähe, die Jesus liebt. Seine Mutter und deren Schwester, dann seine Freundin und Wegbegleiterin Maria von Magdalena und sein engster Freund, der Lieblingsjünger. Jesus ist nicht allein, als seine Kräfte immer mehr schwinden. Liebe umfängt ihn auch jetzt, am Ende. Und aus Liebe handelt er, ein letztes Mal: Jesus verweist seine Mutter in die Obhut des Freundes, er will diejenigen versorgt wissen, an denen sein Herz hängt. Ein weiteres menschliches Bedürfnis überkommt ihn, er hat Durst, bittet um etwas zu trinken, nimmt davon und spricht seine letzten Worte: Es ist vollbracht. Dann neigt Jesus, der Sohn Gottes sein Haupt und verstirbt. Es ist vollbracht.

Dazwischen, zwischen Anfang und Ende schillert und pulsiert das Leben des Gottessohnes, farbenprächtig wie ein Regenbogen, aufgespannt in sämtliche Richtungen – in die Höhe und Weite, mitten ins Herz und in die Tiefe. Was immer auch in den Erzählungen von und über Jesus geschieht, es vollzieht sich in der Begegnung mit Menschen. Besonders in der jüngsten Perspektive auf den Gottessohn, die von Johannes aufgeschrieben wurde.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Jesus kannte die Tora, natürlich. Jesus erfuhr aber auch das Geschenk einer liebevollen Familie, von Freundinnen und Freunden, Wegbegleitern und weltverändernden Begegnungen. Gottes Wort hat er so mit Leben gefühlt.

Er hat aber auch Gottes Wort mit Leben gefüllt. Er berührte und heilte, trank und aß, lachte und weinte, lehrte und stritt, wunderte sich und verwunderte andere, Jesus konnte rauschende Feste feiern, aber auch für sich alleine sein. Gottes Sohn als Mensch unter Menschen. 4 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Viel Leben und viel Lieben, das sich vom Anfang bis zu seinem Ende durchzieht. In seinem Leben auf Erden begrenzt, in seinem Lieben jedoch nicht.  Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Das sind Jesu Worte. Er wusste, was kommt und ging seinen Weg bewusst und aufrecht, wortmächtig bis zu seinen letzten, qualvollen Atemzügen.

Jesus von Nazareth – Gottes Sohn ist als Mensch geboren und schließlich auch als Mensch gestorben. Wie die beiden Hingerichteten neben ihm. Wie zahllose andere Opfer menschlicher Gewalt davor und danach. In der johanneischen Fassung der Passionsgeschichte gibt es kein himmlisches Spektakel, die Sonne verdunkelt sich nicht, kein Vorhang zerreißt, die Erde tut sich nicht auf – ein Mensch stirbt, die Welt dreht sich weiter, scheinbar unberührt.

Es ist vollbracht.

Eine Lebensgeschichte mit einem Anfang, einem Lebensweg und einem Ende – einerseits zutiefst menschlich. Gleichzeitig aber tritt Jesus fast über den Dingen schwebend auf, schon Richtung Himmel entrückt, noch bevor die Zeit dafür gekommen ist.

Bei Johannes schillert Jesus schon im Licht der Morgensonne des 3. Tages, noch bevor die Nacht überhaupt hereingebrochen ist. Er strahlt als Licht, das die Dunkelheit überwunden hat, von seinem ersten Tag an. Anfang, das Dazwischen und Ende vermischen sich im vierten Evangelium, alles ist miteinander verbunden und setzt sich gegenseitig in Bewegung, kontrastiert sich, wechselt sich ab.

Jesus selbst trägt dabei sowohl menschliche als auch göttliche Züge. Beides begegnet sich in ihm in dem Gefühl, das Gott mit den Menschen verbindet und teilt: in der Liebe.
Gelebte Liebe und schließlich auch gestorbene Liebe. Für seine Freunde. Für die Menschen, für Gottes Schöpfung. Für alle, die unter Ohnmacht und Gewalt und der Unbarmherzigkeit des Todes leiden. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Auch nicht in der Einsamkeit des Sterbens und der Verlassenheit des Todes.

Dort, an diesem Kreuz auf dem Hügel Golgatha stirbt Gott selbst im Menschen Jesus einen qualvollen Tod. Auch dieses brutale Ende gehört zu seinem Leben dazu. Es folgt kein Aufbegehren, keine Gegengewalt. Niemand kommt und rettet Jesus. Sein Stillhalten, seine wissende Ohnmacht sind schwer auszuhalten, finde ich. Dieser wunderzarte Anfang bei Bethlehem und dieses farbenprächtige und bedeutsame Leben verlangen eigentlich ein ganz anderes Ende.

Mir fällt es unheimlich schwer, Jesus auf diese Art gehen zu lassen. Das Geschehen auf Golgatha reißt Untiefen auf, es tut weh. Jemanden gehen zu lassen, ist schwer. Maria, Jesus Mutter und ihre Schwester, Maria von Magdalena und der Lieblingsjünger konnten Jesus loslassen im Vertrauen darauf, dass es eines Tages gut werden würde. Sie waren da, mit all ihrer Liebe, bis zum Schluss. Ihre Herzen waren weit genug dafür.

Liebe ist stärker als der Tod. Sie verwandelt das Ende in einen Anfang.

Gott ist uns seit Jesus nahe in allem was menschlich ist. Im Hunger und im Durst, in Trauer und Schmerz, Freude und Lust – und ja, auch in der mitunter bedrückenden Stille, die sich an Karfreitag um uns breitet. Vielleicht hören wir, wenn wir ganz ruhig werden, aus der Ferne ein leises, sanftes Säuseln.

Amen


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